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Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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sich streckte, sich ungeniert rekelte und schließlich den Mund zu einem herzhaften Gähnen aufriss. Erst im letzten Moment hielt sie die Hand davor und warf Jacobina unter schlafschweren Lidern ein entschuldigendes Lächeln zu.
    »Mmh, das ist vielleicht ein Leben hier an Bord«, murmelte sie und strich über die Armlehnen des Liegestuhls. »Wie bei Königs!« Genüsslich wackelte sie mit den Zehen, einen seligen Ausdruck auf dem Gesicht.
    Als fürstlich oder luxuriös empfand Jacobina die SS Prinses Amalia nicht gerade, aber durchaus als komfortabel. Sowohl die Kabinen als auch der Speiseraum waren äußerst einfach gehalten, aber blitzsauber; Jacobina hatte sich die Überfahrt wesentlich schlimmer vorgestellt. Schließlich waren es keine Vergnügungsfahrten oder Erholungsreisen, die die Reederei zwei Mal monatlich von und nach Batavia anbot. Wer auf einem Dampfer dieser oder einer anderen niederländischen Schifffahrtsgesellschaft an Bord ging, hatte keine Zeit zu verschenken und wollte möglichst zügig ans Ziel kommen. Im Wettlauf um gutes, reiches Land galt es schnell zu sein, bevor ein anderer es pachten, roden und mit Kaffee, Tee und Chinin Geld machen konnte, wie Herr Aarens es vorhatte. Die Arbeit in der Kolonialverwaltung wartete auf Beamte wie Herrn Ter Steege, die Rechnungsbücher im Kontor eines Handelsunternehmens oder der Posten in einem Regiment auf Männer wie Leutnant Teuniszen, auf Major Rosendaal und auf die vier Rekruten. Noch unerschlossene Gegenden auf Java und Sumatra warteten auf Architekten und Ingenieure wie Herrn Verbrugge, die Straßen bauen, Schienen verlegen und Häuser errichten sollten. In umgekehrter Richtung wartete ein auf den Tag genau abgezählter Urlaub in der alten Heimat bei Angehörigen und Freunden, die man lange nicht mehr gesehen hatte, wie ihn die Ter Steeges und die Teuniszens verbracht hatten. Und auf die Söhne der Pflanzer, der Beamten und der Offiziere warteten ihre Plätze an den Schulen und Universitäten der Niederlande, bevor sie in einigen Jahren zu ihren Familien zurückkehren würden.
    »Besuchst du Verwandte in Batavia?« Es war die erste persönliche Frage, die Floortje an sie richtete, seit sie sie am frühen Morgen an Deck angesprochen hatte.
    Während ihres Rundgangs durch den Bauch des Schiffes – ein Labyrinth aus scheinbar endlosen schlauchschmalen Gängen, aus Frachträumen und Lagerkammern, den Quartieren und Arbeitsbereichen der Mannschaft –, der auch das beständig kraftvoll stampfende Herz des Maschinenraums mit eingeschlossen hatte, war Floortje ganz darin aufgegangen, die Erläuterungen von Kapitän Hissink mit erstaunten und entzückten Lauten zu kommentieren, über seine Späße zu kichern und ihm hin und wieder eine schlagfertige Erwiderung zuzuwerfen. Jacobina war stumm hinterdreingetrottet, wie der Inbegriff der Anstandsdame, die alles sah, alles hörte, der aber selbst keinerlei Beachtung geschenkt wurde. Es hatte ihr nichts weiter ausgemacht; sie war damit zufrieden gewesen, sich eingehend umzuschauen und mit eigenen Augen all das an Technik und Mechanik zu sehen, worüber sie bisher nur gelesen hatte. Und ebenso wenig hatte sie sich daran gestört, dass Floortje danach über dem Morgenkaffee, den frischen Weißbrötchen mit Butter, Marmelade und Honig, den Eiern und dem gebackenen Fisch den gesamten Speiseraum mit lebhaften Schilderungen ihrer Eindrücke unterhalten hatte. Über die Zeit hatte Jacobina ihren angestammten Platz am Rande jedweden Geschehens zu schätzen gelernt, von dem aus sie in Ruhe zusehen und zuhören und dabei ihren Gedanken nachhängen konnte.
    »Nein, ich besuche keine Verwandten.«
    »Deinen Zukünftigen vielleicht?«
    Ohne ihre Augen von den Buchseiten anzuheben, versteinerte Jacobina auf ihrem Platz im Liegestuhl. Der neckende Tonfall Floortjes, der neugierige Blick, den sie auf ihrem Gesicht spürte, rührte an dem alten Dorn in ihrer Seite. Lange war es her, dass sie mit derlei Scherzen bedacht worden war, von den Mädchen, die einmal ihre Freundinnen gewesen waren. Bis diese eine nach der anderen selbst den Bund fürs Leben geschlossen und Kinder bekommen hatten und sich zunehmend Besorgnis in diese Scherze schlich. Danach war die Stille gekommen. Das merkliche Abrücken und die Einsamkeit.
    »Nein.« Sie zögerte, dann überwog ihr Stolz. »Ich trete eine Stellung an.« Zwischen den hinteren Seiten des Buchs holte sie ein Stück Papier hervor und reichte es Floortje, die sich neugierig aufgesetzt hatte,

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