Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
als Jacobinas Blässe, die so leicht ins Fahle überging. Es schien Floortje auch nicht zu kümmern, dass der Wind unablässig an dicken Partien ihres Haares raufte, das schwer war und kaffeedunkel glänzte. Sie hatte es ihm sogar noch leicht gemacht, nur einen Teil davon am Hinterkopf zu einem filigranen Schlaufengebilde hochgesteckt, während der Rest in geschmeidigen Wellen und Kringeln ihren Rücken hinabfiel. Kein Vergleich zu Jacobinas flachshellem Haar, das schnell strähnig aussah und in Sonne und Wind strohig wurde, wenn sie nicht achtgab. Einmal mehr durchfuhr es Jacobina, wie jung dieses Fräulein Dreessen doch war, fast noch ein Mädchen. Und hübsch, so hübsch, dass es wehtat. Am liebsten hätte sie sich auf dem Absatz umgedreht und wäre ohne ein weiteres Wort davongegangen. Ihre gute Erziehung indes verbot es ihr; sie wusste, was sich gehörte.
»Jacobina van der Beek.« Es versetzte ihr einen Stich, wie winzig und zerbrechlich sich Floortjes Hand in ihrer eigenen anfühlte, trotz der unvermuteten Kraft, mit der diese zupackte, und Jacobina ließ sie schnell wieder los.
»Ich war eigentlich auf dem Weg zum Käpt’n. Er hat mir angeboten, mich heute Morgen auf dem Schiff herumzuführen und mir alles zu zeigen. Sogar den Maschinenraum!« Floortjes Augen funkelten auf wie Aquamarine. »Magst du vielleicht mitkommen?«
»Sehr freundlich – aber danke, nein«, entgegnete Jacobina in mechanischer Förmlichkeit.
Floortjes Brauen, zwei wie mit sepiabrauner Tusche gezeichnete Bögen, hoben sich. »Aber warum denn nicht? Auf dem Pott hier läuft dir sicher nichts weg! Komm doch mit, das wird bestimmt lustig!«
»Nein, danke. Wirklich nicht.« Jacobina blinzelte in die Sonne, die sich weiter am Himmel hinaufgeschoben hatte und das Deck mit einem Licht wie zerlassene Butter übergoss. Sie war dieser Art wohltätiger Einladungen überdrüssig, für die sie sich später dankbar zeigen sollte.
»Ach, bitte!« Ein Ruck ging durch Floortje hindurch, halb Aufstampfen, halb Hüpfen, wie auch ihr Tonfall gleichermaßen flehend wie trotzig war. »Komm schon, zier dich nicht so! Zu zweit ist es noch mal so lustig!«
»Nein, ich …«, setzte Jacobina an; der Rest des Satzes blieb ihr in der Kehle stecken, als Floortje schwungvoll ihre Hand ergriff und sie im Laufschritt mit sich zog.
2
»… zwei-und-zwan-zig, drei-und-zwan-zig …«, singsangte die kleine Lijsje im Takt ihrer Sprünge. »Vier-und-zwan…« Mit dem Absatz ihrer geschnürten Stiefelette blieb sie hängen und verhedderte sich, entwirrte das Seil und begann von vorne, sodass ihre zu Affenschaukeln hochgebundenen blonden Flechtzöpfe vor und zurück pendelten. »Ei-heins, zwei-hei, drei-hei …«
Das schöne Wetter hatte alle nach dem ersten Frühstück an Deck gelockt, um die Zeit bis zum Gabelfrühstück mit gepflegtem Müßiggang zu verbringen. Die Herren Verbrugge und Ter Steege saßen sich an einem Tischchen gegenüber und verschoben abwechselnd und mit langen Denkpausen die Spielsteine auf dem Damebrett zwischen sich. Im Schutz eines Sonnenschirms flanierte Frau Ter Steege neben ihrer Mutter die Reling entlang, wortreich bemüht, dieser die Aussicht auf das azurblaue Meer und die felsige, sonnenüberglänzte Küste Portugals schmackhaft zu machen. Doch mehr als ein ungnädiges Brummen dann und wann war der weißhaarigen älteren Dame, deren kohlschwarze Kleider so steif wirkten wie ein Harnisch, nicht zu entlocken. Ihre beiden Mädchen wusste Frau Ter Steege unterdessen gut aufgehoben: während unter Frau Verbrugges Fingern ein filigranes Häkeldeckchen Gestalt annahm, ruhte ihr fürsorglicher Blick teils auf Lijsje mit ihrem Springseil, teils auf Kaatje, die einträchtig neben der fast gleichaltrigen Tressje Verbrugge auf den Decksplanken saß. Mal mit ernsten Mienen und gedämpften Stimmchen, dann wieder mit dramatischer Mimik und aufgeregten Rufen hatten sich die beiden kleinen Mädchen ganz in die Welt ihrer Puppen zurückgezogen, deren Geheimnisse den Erwachsenen verborgen blieben.
»… zwei-und-dreissig, drei-und-drei…«, zählte Lijsje weiter die Augenblicke dieses friedlichen Vormittags an Deck ab, immer wieder unterbrochen durch ein verärgertes Schnauben, eine kurze Pause. »Ei-heins, zwei-hei …«
Jacobina vermochte sich nicht in ihr Buch zu vertiefen; beständig schweiften ihre Augen von den Seiten ab und zu Floortje hinüber, die im Liegestuhl neben ihr döste. Kaum dass sie sich nach dem ersten Frühstück hier
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