Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
»Also, schieß los.«
Rose räusperte sich. »Du hast im Laufe der letzten Monate viel von der Geschichte deiner Familie erfahren, mein Kind. Du weißt, wie schwer sie es in diesem Land hatte, weißt auch, wie viele Kämpfe unsere Vorfahren ausfechten mussten, um zu erhalten, was sie sich geschaffen hatten – mit ihrer Tüchtigkeit und natürlich mit Gottes Segen ...«
»Worauf willst du hinaus, Mutter?«
Rose, die den Kopf zuvor leicht geneigt und sich um einen salbungsvollen Ton bemüht hatte, richtete sich kerzengerade auf. »Verdammt, Ruth! Jetzt begreif doch endlich! Wir Weiße haben uns hier mit viel Mühe etwas aufgebaut. Ohne uns würden die Schwarzen noch immer in der Kalahari ihre Feuergötter anbeten und Maden rösten.«
»Na und? Wer sagt dir, dass es ihnen besser gefällt, jetzt für uns auf den Farmen zu arbeiten?«
Rose stöhnte und rang die Hände. »Du willst mich nicht begreifen, Ruthi, oder?«
Ruth lehnte sich zurück. Langsam sagte sie: »Ich denke schon, dass ich dich begreife, Mutter. Dich und die anderen Weißen, die genauso denken wie du. Wir haben Wohlstand und Fortschritt in ihre Wildnis gebracht. Ohne uns wüssten viele bis heute nichts von Messerbänkchen, Schneckenzangen und Damastservietten. Wir sind ihnen überlegen, denkst du. Und du denkst, dass sie uns auf ewig dankbar sein sollten. Aber dass diese Leute auch ohne Messerbänkchen glücklich waren und nichts vermisst haben, das begreifst du nicht, Mutter. Sie haben uns nicht gerufen. Verstehst du? Wir sind einfach gekommen, haben uns genommen, was wir wollten. Wir haben ihre Weiden zerstört, über ihre Religion gelacht, ihre Kultur mit Füßen getreten. Wir haben ihnen ihr Eigentum weggenommen und ihre Stammesleute getötet. Und bei alldem waren wir ihnen niemals überlegen.«
»Pfft!« Rose verzog abschätzig den Mund. »Niemals überlegen? Wie waschen die Namafrauen denn bis heute? In einem Kessel über der Asche! So sieht es aus. Ohne uns, ohne uns ...«
»Ja, ja. Ohne uns würden sie noch immer die Maden von den Bäumen essen. Aber vielleicht wollen sie genau das! Und überhaupt: Die Schwarzen wissen, was sie brauchen. Sie wissen, wie man in der Wüste überlebt, wie sie ihre Tiere auch in der Trockenzeit satt bekommen. Das alles wissen wir nicht. Sie sind nicht dümmer als wir, Mutter. Sie sind anders. Das ist alles.«
Rose starrte Ruth einen Augenblick an, dann hatte sie sich wieder gefangen. »Anders, sagst du. Meinetwegen. Dann eben anders . Du stimmst mir also zu, wenn ich sage, dass sie nicht sind wie wir. Das wiederum heißt aber, wir passen nicht zusammen. Sie haben andere Vorstellungen, andere Werte, eine andere Kultur. Ihnen sind andere Dinge wichtig als uns und ...« Rose seufzte und sah zum Himmel, als flehe sie Gott an, die Dinge zu ändern. »Und sie hassen uns. Vom ersten Tag an haben sie unserer Familie das Leben schwer gemacht.« Sie deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Ruth. »Du weißt genau, was ich meine, mein liebes Fräulein. Immerhin musst du jedes Jahr etliche von ihnen entlassen, weil sie klauen, faulenzen, saufen bis zum Umfallen oder sonst was treiben.«
»Tja.« Ruth stand auf. »Du weißt selbst, woran das liegt: Wir haben den Schwarzen unsere Lebensart übergestülpt. Normalerweise sorgen sie für drei Tage im Voraus und warten ab, was kommt. Mutter Natur, das wissen sie, lässt sie nicht im Stich. Wir aber wissen das nicht und sind es gewohnt, für Jahre im Voraus für uns zu sorgen. Und wenn die Schwarzen das nicht mitmachen, weil sie es anders gewohnt sind, entlassen wir sie. Das ist nicht immer gerecht, das weiß ich selbst, aber ich trage nun einmal die Verantwortung für diese Farm und die ganzen Mitarbeiter und bin deshalb gezwungen, über die nächste Woche hinaus zu denken. Hätte ich einen anderen Beruf, könnte ich mich womöglich auf die Lebensart der Einheimischen einstellen, aber dafür fehlen mir hier die Mittel.« Demonstrativ sah sie auf die Uhr.
Rose griff nach ihrem Ärmel und hielt sie fest, bevor sie den Raum verlassen konnte. »Aber jetzt geht es um Horatio. Weißt du, was er plant?«
»Was soll er schon planen? Er schreibt die Geschichte seines Volkes.«
»Und womit verdient er sein Geld?«
Ruth schnaubte verärgert. »Er verdient sich seinen Unterhalt, indem er mir auf der Farm hilft. Anders als Corinne habe ich ihn schon oft mit der Gabel auf dem Misthaufen gesehen. Er hat Mama Elos und Mama Isas Gemüsegarten umgegraben und ist dabei, mit Santo
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