Das Herz des Drachen
einem sauberen Bogen herum. Auf diese kurze Distanz schnitt das Claymore-Schwert durch den Hals des Vampirs, wenn auch in einem merkwürdigen Winkel.
Der Kopf war nicht völlig abgetrennt, stattdessen rollte er hin und her, während der Vampir am Boden lag.
„Du dreckige Schlampe!“, keuchte der andere, während er seine fleischigen Hände um Deannas Hals legte. Sie konnte nicht mehr atmen, als der Vampir fester zudrückte, und Deanna fühlte, dass er sie hochhob.
„Du wirst dafür bezahlen!“
Deanna griff panisch mit ihrer freien Hand nach dem Handgelenk des Vampirs, während sie versuchte, mit der anderen das Schwert zu schwingen.
Keine dieser beiden Taktiken war erfolgreich.
Ein Pfeifen in der Luft kündigte einen Pfeil an. Sie hörte ein Tschunk, als der Schaft in den verwundeten Arm des Vampirs einschlug. Trotz des Schmerzes, der seinen Körper durchzucken musste, drückte er trotzig ihren Hals noch ein paar weitere Sekunden lang zu. Dann brach er zusammen. Gerade noch rechtzeitig für Deanna, die bereits angefangen hatte, Sterne zu sehen. Als der Griff sich endlich löste, fiel sie neben den Vampir und konnte endlich wieder kostbare, kühle Luft einatmen.
Sie kam auf die Füße und beendete ihr Werk.
Erst dann schenkte sie ihrem Mann ein kurzes Lächeln.
„Guter Schuss.“
„Gern geschehen“, antwortete Samuel und ging mit seiner Machete gegen den Vampir vor, der ihn und Mary angegriffen hatte.
„Ich glaube“, sagte Deanna, „dass wir mal mit Vater Callapso reden müssen.“
Mary starrte sie an.
„Warum? Er war doch derjenige, der uns hierher geschickt hat.“
„Seine Informationen waren falsch“, erklärte Samuel.
„Es gibt einen großen Unterschied zwischen einem einzelnen Blutsauger und einem Nest! “
Deanna hielt das Schwert weiter in der Hand. Sie wollte es nicht in die Scheide stecken, solange es nicht gesäubert war. Sie hob mit der freien Hand den Benzinkanister auf und näherte sich ihrem Mann und ihrer Tochter.
„Es ist ja nicht so, als ob auch nur eine unserer Quellen zu hundert Prozent zuverlässig wäre“, sagte sie. „Wir müssen nur zusehen, dass wir uns auf das, was er uns sagt, größtenteils verlassen können. Wir können trotzdem froh sein, dass der Vater uns überhaupt Informationen zuspielt – und dass er nicht glaubt, wir wären total verrückt.“
Samuel blickte finster.
„Ja, sicher. Der Exorzismus, den wir vor drei Jahren für ihn erledigt haben, hat wohl das seine getan. Er schuldet uns etwas.“
Deanna setzte zu einer Antwort an, dann verbiss sie sich das und nickte in Richtung der blutigen Leichen.
„Ich will ja wirklich keinen Streit anfangen, aber …“
Mary stöhnte dramatisch auf.
„Ach, komm schon , Mom – es ist ja nicht so, dass ich euch noch nie streiten gehört habe.“
„Sie hat nicht über dich gesprochen, Fräuleinchen“, sagte Samuel. „Sie hat gemeint, dass wir noch sechs Vampirleichen loswerden und ein Haus niederbrennen müssen, damit es nicht noch einmal benutzt werden kann. Einmal ein Nest, immer ein Nest.“
„Dann mal los“, sagte Mary mitfühlend. „Lasst uns das hier hinter uns bringen, damit ich mir das Blut abwaschen kann.“
Das überraschte Deanna. Sie berührte ihr Gesicht mit dem Handgelenk ihrer Schwerthand. Sicher, der Geruch des Blutes war gegenwärtig. Sie waren schließlich alle damit getränkt.
„Und Dad?“, fuhr Mary fort. „Ich bin jetzt fünfzehn, also können wir mal mit dieser ‚Fräuleinchen‘-Sache aufhören?“
„Ich denke mal darüber nach“, sagte Samuel mit einem ironischen Lächeln.
Mary sah ihn nur böse an.
Deanna schüttelte den Kopf und wog den Benzinkanister in der Hand.
„Kommt jetzt, ihr Süßen, lasst uns an die Arbeit gehen.“
Mary hatte es immer ein bisschen kitschig gefunden, dass der Briefkasten vor dem Haus die Aufschrift FAMILIE CAMPBELL trug. Es hörte sich an wie etwas aus den guten alten Tagen, als sie ein Kind gewesen war.
Aber die guten alten Tage waren eigentlich nicht so gut gewesen – zumindest nicht so, wie die meisten Leute glaubten. Was die Leute im Fernsehen sahen, hielten sie für die Realität. Mary dagegen hatte gelernt, wie fiktional das Leben tatsächlich sein konnte.
Die Welt veränderte sich. Jeder wusste das natürlich. Dank des Fernsehens konnten alle sehen, was gerade passierte – Woodstock, Kent State, Watts, Vietnam, das Gesetz über die Bürgerrechte, der Marsch auf Washington, die Attentate auf Dr. King und Senator Kennedy,
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