Das Herz des Werwolfs (German Edition)
ist mit uns allen geschehen?
„Siehst du?“, sagte der Jüngling. „Er erinnert sich einen Scheiß.“
„Was sind denn das für Ausdrücke?“, rügte der Ältere. „Du hast schon wieder zu viel Zeit mit unseren menschlichen Gästen verbracht.“
„Lieber mit den Menschen als mit den Königreichern. Die sind doch zurückgeblieben, schleudern überall ihre Magie rum, und die Hälfte wird von blutsaugenden Parasiten regiert.“ Der Junge machte eine Geste über seinem Herzen, als wolle er das Böse abwehren.
Dayn war auf einmal sehr froh, den Namen seines Königs nicht genannt zu haben. Wo war er, wo Bluttrinker so verabscheut wurden?
Ehe er es herausfinden oder auch nur eine Frage stellen konnte, raste eine Gestalt aus den Wäldern auf die Männer zu: eine schlaksige Kreatur, die wie ein Welpe mit sandsteinfarbenem Fell aussah. Erst als sie zum Stehen kam und zur Begrüßung wild mit dem Schwanz wedelte, sah Dayn den hellroten Fleck auf dem Rücken und den goldenen Streifen. Er konnte nicht verhindern, dass er zusammenzuckte. Und er keuchte auf, als der junge Wolfyn sich auf die Hinterbeine stellte, die länger wurden, während seine ganze Statur sich gerade und groß aufrichtete, und sein Fell am ganzen Leib zu schimmern begann … und dann zu seltsam glänzendem Stoff wurde, zu polierten schwarzen Stiefeln und Handschuhen und zu einem blassen Jungengesicht.
Dayn starrte ihn fassungslos an. Bei allen Göttern, es stimmte. Die Wolfyn waren wirklich Formwandler. Hieß das etwa, dass auch die anderen Geschichten wahr waren? War er in ihrer Heimat?
Die Augen des Kindes leuchteten von Neugier. Seine Gesichtszüge waren eine jüngere Version der Gesichter der beiden anderen. „Ach, schade, habe ich einen Vortex verpasst? So ein Mist. Wo ist er her? Bleibt er bei uns?“
Der jüngere Mann zauste dem Jungen die rotblonden Haare. „Wir arbeiten daran. Wobei, nach seiner Reaktion gerade eben können wir jetzt wohl eindeutig sagen, dass er aus den Königreichen kommt.“
Der ältere Mann kniff die Augen zusammen. „Die Frage ist, ob er einer dieser mordlüsternen blutsaugenden Bastarde ist oder nicht.“ Er und die andern betraten den Kreis, den die hohen Steine beschrieben.
Dayns Herz klopfte wild, aber er blieb ruhig und zwang sich, seine Fangzähne gut zu verbergen, sodass die Männer nicht die geringste Beule spüren konnten, als sie sein Zahnfleisch untersuchten. Denn wenn sie je herausfanden, was und wer er wirklich war, würde er nicht lange genug leben, um nach Hause zurückzukehren.
1. KAPITEL
Zwanzig Jahre später
Welt der Menschen
R eda Weston stand zögernd auf dem Gehsteig vor dem Cat-Black-Kuriositätenladen, eine Hand auf dem Türgriff und den Magen voller Schmetterlinge. Das Spiegelbild mit den großen Augen, das ihr von der getönten Glasscheibe in der Tür entgegenstarrte, kam ihr nicht bekannt vor. Ja, die Fremde hatte einen lockigen roten Pferdeschwanz, genau wie sie selbst, und sie trug die zerfetzte Jeans und die abgewetzte Lederjacke, die Reda am Morgen aus ihrem Schrank gezogen hatte, weil es keinen Grund mehr gab, sich wie ein Cop anzuziehen. Und ja, das waren ihre blauen Augen in den tiefen Höhlen, die sich in ihrem Gesicht gebildet hatten. Aber wenn sie das war, was tat sie dann hier?
Normalerweise wäre sie nicht einmal in die Nähe der kitschigen Läden für Magie, Hexerei und so weiter gekommen, die die Uferstraße von Salem säumten, es sei denn, jemand hätte die Polizei gerufen … aber normal war seit sechs Wochen ohnehin nichts mehr. Und sie hatte MacEvoy, den Besitzer von Cat Black, nun einmal gebeten, das Buch für sie zu finden.
„Es ist da“, hatte er ihr auf den Anrufbeantworter gesprochen, „und wenn Ihnen das Bild gefallen hat, das Sie gekauft haben, werden Sie den Rest davon lieben .“
Gefallen? Sie hatte die letzten vier Tage mit nichts anderem verbracht als damit, den gerahmten Holzschnitt von einem düsteren grusligen Wald aus knorrigen und verwachsenenBäumen anzustarren, in deren Schatten sich Augen zu verbergen schienen. Mehr noch, sie hatte von dem Bild geträumt … und von anderen, ähnlichen Bildern.
Ein Scheppern ließ sie zusammenfahren. Sie griff nach der Waffe, die sie nicht trug, und hielt dann beschämt inne, als sie merkte, dass sie selbst so sehr zitterte, dass der Türknauf schepperte. Schlimmer noch, sie wusste nicht, wie lange sie so da gestanden hatte.
„Sie sollten mit Schlafstörungen rechnen, Panikattacken,
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