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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Was für eine Lehre vermitteln wir hier? Was,
wenn es jedes Mal eine andere ist? Was, wenn der Gang des Gesetzes nicht immer
gleichzusetzen ist mit Gerechtigkeit? Denn letztendlich bleibt Folgendes
übrig: ein Opfer, das zu einer Akte geworden ist, mit der wir uns zu befassen
haben, statt eines kleinen Mädchens oder eines Ehemannes. Ein Häftling, der
nicht wissen will, wie das Kind eines Aufsehers heißt, weil das die Beziehung
zu persönlich macht. Ein Gefängnisdirektor, der Hinrichtungen durchführt,
obwohl er sie grundsätzlich nicht befürwortet. Und eine ACLU-Anwältin, von der
verlangt wird, dass sie ins Büro fährt, die Akte schließt und sich die nächste
vornimmt. Übrig bleibt der Tod, der jeder Humanität beraubt wurde.« Ich zögerte
einen Moment. »Also, sagen Sie mir ... fühlen Sie sich nach dieser Hinrichtung
wirklich sicherer? Hat sie uns enger zusammenrücken lassen? Oder hat sie uns
einander entfremdet?«
    Ich schob mich an den Kameras vorbei, die
wie Stiere ihre schweren Köpfe schwenkten, um meinen Weg zu verfolgen, hinein
in die Menge, die sich vor mir teilte. Und ich weinte.
    Gott, ich weinte.
    Auf der Fahrt nach Hause schaltete ich
die Scheibenwischer ein, obwohl es gar nicht regnete. Aber ich war nur noch ein
schluchzendes Häufchen Elend und konnte kaum was sehen und dachte irgendwie,
es würde helfen. Ich hatte meinem Boss in dem für die ACLU in New Hampshire
wohl wichtigsten Rechtsfall seit fünfzig Jahren die Show gestohlen; und es war
mir noch dazu egal.
    Ich hätte gern mit Christian gesprochen,
aber er war inzwischen im Krankenhaus und beaufsichtigte die Entnahme von
Shays Herz und anderer Organe. Er hatte gesagt, er würde, so schnell er konnte,
zu mir kommen, sobald er Bescheid bekam, ob die Transplantation gelingen würde.
    Was bedeutete, dass ich in ein Haus
kommen würde mit einem Kaninchen drin und nicht viel mehr.
    Als ich in die Straße einbog, in der ich
wohnte, sah ich gleich den Wagen in meiner Einfahrt stehen. Meine Mutter
erwartete mich an der Haustür. Ich wollte sie fragen, warum sie hier war und
nicht bei der Arbeit. Ich wollte sie fragen, woher sie gewusst hatte, dass ich
sie brauchen würde.
    Doch als sie mir wortlos eine flauschig
warme Decke hinhielt, die ich normalerweise auf der Couch liegen hatte, ließ
ich mich einfach darin einwickeln und vergaß alle meine Fragen. Statt dessen
vergrub ich das Gesicht an ihrem Hals, »Ach, Mags«, sagte sie leise. »Ist ja
gut, ist ja gut.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es war
furchtbar. Jedes Mal, wen ich blinzele, seh ich es wieder, als würde es noch
immer passieren.« Ich holte zittrig Luft. »Es ist albern, aber bis zur letzten
Sekunde hab ich noch auf ein Wunder gehofft. Wie die Sache im Gerichtssaal.
Dass er sich irgendwie aus der Schlinge windet oder - ich weiß auch nicht -
wegfliegt oder so.«
    »Komm, setz dich«, sagte meine Mutter und
führte mich in die Küche. »So funktioniert das wirkliche Leben nicht. Es ist
so, wie du gesagt hast, zu den Reportern -«
    »Du hast mich gesehen?« Ich blickte auf.
    »Im Fernsehen. Du warst auf jedem Sender,
Maggie. Sogar auf CNN.« Ihr Gesicht glühte. »Mich haben schon vier Leute angerufen,
die dich toll fanden.«
    Auf einmal musste ich daran denken, wie
ich damals noch während des Studiums in der Küche meiner Eltern gesessen hatte
und einfach nicht wusste, was ich beruflich machen wollte. Meine Mutter hatte
sich zu mir an den Tisch gesetzt und die Ellbogen aufgestützt. Was macht dir denn Spaß?, hatte
sie gefragt.
    Lesen, hatte ich erwidert. Und
diskutieren.
    Sie hatte mich strahlend angelächelt.
Maggie, Schatz, du wärst die geborene Anwältin.
    Ich vergrub das Gesicht in den Händen.
»Ich war ein Idiot. Rufus wird mich feuern.«
    »Wieso? Weil du ausgesprochen hast, was
sich sonst keiner traut? Zu glauben, dass jemand sich ändern kann, ist
unglaublich schwierig. Es ist immer leichter, so weiterzumachen wie bisher, als
zuzugeben, dass man von Anfang an im Irrtum war.«
    Sie drehte sich um und hielt mir einen
dampfenden duftenden Teller hin. Ich roch Rosmarin, Pfeffer, Sellerie. »Ich hab
Suppe mitgebracht. Selbst gemacht.«
    »Du hast Suppe für mich gekocht?«
    Meine Mutter verdrehte die Augen. »Na
schön, ich hab eine Suppe gekauft, die jemand anders selbst gemacht hat.«
    Als ich ein wenig lächelte, berührte sie
meine Wange. »Maggie«, sagte sie, »iss.«
     
    Später am Nachmittag, als meine Mutter
den Abwasch machte und die Küche aufräumte, schlief ich

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