Das Herz
Vash spricht von meinen eigentlichen Feinden, den Göttern. Und, ja, die sind stark und grausam, aber sie haben nicht, was ich habe ... Menschenblut in den Adern!«
Der Nordländerkönig, der im Unterschied zu Vash offenbar nie befürchten musste, den Autarchen zu erzürnen, fragte: »Menschenblut? Ihr sprecht doch sonst immer nur von Götterblut — dem Blut, das angeblich in meinen Adern fließt.«
Sulepis lächelte angetan. »Oh, aber genau darum geht es doch. Das Blut der Götter ist dünn und schwach geworden, aber es ist immer noch der Schlüssel zu der Tür, die ich öffnen muss ... und wenn diese Tür offen ist, wird Macht daraus hervorkommen. Und diese Macht — die Macht des Himmels selbst — wird mein sein. Aber ob mein Blut nun zur Gänze Sterblichenblut ist oder ob Nushash tatsächlich mein Ahnherr war — was zählt, ist, dass ich das Blut menschlicher Eroberer in mir habe — harter, wortkarger Wüstenbewohner, die sich nahmen, was sie wollten, und es allein durch Intelligenz und Tapferkeit wahrten. Wer sonst käme auch nur auf die Idee, sich die Macht des Himmels anzueignen? Ich bin das Gottähnlichste auf dieser Welt, und gerade meiner sterblichen Vorfahren wegen wird sich der Kreis schließen, und mir wird das Erbe dieser unvorstellbaren Macht zufallen.«
Olin sah ihn eine ganze Weile an. »Immer, wenn ich glaube, die ganze Tiefe Eures Wahnsinns ausgelotet zu haben, Sulepis, überrascht Ihr mich aufs Neue.«
»Das hört man gern!« Der Autarch war erfreut. »Und jetzt kommt mit mir, die Truppen inspizieren, Olin. Es gefällt ihnen nicht an diesem sonnenlosen Ort, wer könnte es ihnen verdenken? Ich bin ihre Sonne und muss sie ein wenig bescheinen.«
»Aber ich scheine nicht«, sagte Olin leise. »Ich brenne nur.«
»Ach.« Sulepis musterte ihn. »Das stimmt, mein Freund, Ihr leidet, je näher Ihr Eurem alten Wohnsitz kommt, habe ich recht? Schlimme Träume, Herzrasen, pochender Schädel? Was für eine Ironie!« Der Autarch schüttelte leise tadelnd den Kopf, wie ein Großvater, der das Betragen respektloser Jugendlicher beobachtet. Vash konnte nicht umhin, sich zu fragen, wie es sein Herr geschafft hatte, noch seltsamer zu werden, als er ohnehin schon war: Sulepis schien verschiedene Persönlichkeiten auszuprobieren, als ob man den Charakter wechseln könnte wie eine Ritualmaske. »Leidet Ihr sehr?«
Der Blick, den ihm Olin zuwarf, hätte den jungen Autarchen eigentlich auf der Stelle in Flammen aufgehen lassen müssen. »Ich halte es aus. Ich lebe noch.«
»Was ja schließlich das Höchste ist, wonach ein Sterblicher trachten kann, nicht wahr?« Der Autarch lachte und erhob sich. Ein halbes Dutzend Diener eilten herbei, um den heiligen blauen Bishakh-Teppich in die Richtung auszurollen, die er einschlagen würde: Nach wie vor hielt sich Sulepis an die Weisung der Priester, nicht mit dem bloßen Erdboden in Berührung zu kommen. Vash fand es merkwürdig, dass ein Mann, der sich nicht scheute, Könige zu töten und die Götter selbst zu berauben, so gewissenhaft war, wenn es um religiöse Rituale ging. »Kommt jetzt mit«, befahl der Autarch seinem Gefangenen.
»Ihr werdet mir Gesellschaft leisten, während ich meinen darbenden Soldaten das Licht der Sonne spende.«
Als die Bewacher dem Nordländer auf die Beine halfen, schwankte er, tat einen stolpernden Schritt auf Vash zu und griff nach dessen Gewandbrust, um nicht zu fallen — so jedenfalls schien es, doch als Vash sich gezwungenermaßen bückte, brachte Olin den Mund dicht an sein Ohr.
»Ich weiß, dass Ihr kein Narr seid«, flüsterte der König hastig. »Wenn Ihr am Leben bleiben wollt, geht zu Prusus. Ihr werdet feststellen, dass er ein sehr guter Zuhörer ist.«
Vashs erster Gedanke war, dass er die gemeinsame Sprache Eions doch nur mangelhaft beherrschte — dass Olin einen Fluch gemurmelt und er diesen grotesk missverstanden hatte. Doch der kurze bedeutsame Blick, den ihm der Nordländer noch zuwarf, ehe er sich davonführen ließ, machte aus dem ohnehin schon beschleunigten Herzschlag des alten Ministers ein wildes Hämmern.
Ist er verrückt? Glaubt er auch nur einen Moment, ich würde den Autarchen verraten?
Doch dem schloss sich augenblicklich ein zweiter, schuldbewussterer Gedanke an.
Was sieht er in mir? Steht es mir ins Gesicht geschrieben? Kann jeder meine Zweifel sehen?
Und direkt darauf folgte der dritte und schrecklichste Gedanke: Olin musste etwas gehört haben.
Er sagt mir; dass der Goldene bereits meine
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