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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Tages heilen kann.«
    »Qinnitan.« Briony versuchte, ihren Missmut hinunterzuschlucken. Wie konnte sich so vieles so schnell und anscheinend für immer verändern? »Das ist es also. Wegen dieses Mädchens, das du kaum kennst, willst du weggehen, und ich soll dich nie wiedersehen? Das Einzige, was mir noch an echter Familie geblieben ist?«
    Er blieb stehen. Sie dachte, sie hätte ihn erzürnt, und machte sich auf wütende Worte gefasst, doch als er dann sprach, kam etwas ganz anderes aus ihm heraus.
    »Daran habe ich gar nicht gedacht«, sagte er. »Ich ... da ist jetzt ein Teil von mir, ein großer Teil, der sich nicht so leicht an solche Dinge erinnert — er hat zu viele eigene Erinnerungen zu hüten. Es tut mir leid.«
    Sie war zusammengezuckt. »Barmherzige Zoria, du klingst genau wie dieser Flint. Er hat uns erzählt, er hätte jetzt ein Stück von einem Gott in sich.«
    »Hat er auch.« Ihr Bruder ergriff ihre Hand; die unerwartete Geste erschreckte sie ebenso wie die Kälte seiner Haut. »Bei mir ist es fast so etwas Ungewöhnliches. Ich bin nicht mehr derselbe, Briony ... aber ein bisschen von dem, was ich war, ist wieder zurückgekehrt.« Er hielt die verkrümmte Hand hoch; sie war so fest zusammengekrampft, dass die Knöchel ganz weiß waren. Binnen weniger Augenblicke und mit nur leicht verzerrtem Gesicht schaffte er es, die Finger fast ganz zu öffnen. Trotz des Schmerzes lächelnd, hielt er ihr die Hand hin, und wenn sie es auch nicht ganz verstand, war ihr doch klar, dass er ihr etwas Wichtiges zeigte. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Vielleicht wird ja eines Tages so viel von dem alten Barrick wieder da sein, dass ich vor dem Burgtor stehe und brülle, du sollst mich wieder reinlassen!« Er lachte bei der Vorstellung. »Vielleicht bringe ich dann ja sogar Frau und Kinder mit.«
    »Das hier wird immer dein Zuhause sein.« Sie wollte nicht, dass es ins Scherzhafte gezogen wurde. Sie konnte die Tränen kaum zurück halten. »Immer. Und ich werde dich immer, immer vermissen.«
    Sie gingen wieder weiter, schwiegen eine Zeitlang beide.
    »Es ist dieser Ort, es bist nicht du«, sagte er schließlich.
    »Was?«
    »Das, was es mir so schwer macht hierzubleiben, selbst wenn ich Qinnitan nicht ins Haus des Volkes bringen müsste. Dieser Ort hier, seine ... Geschichte. Die Qar hassen ihn. Er hat ihnen keinen Sieg gebracht. Im Gegenteil, er wird sich vielleicht als die Stätte ihrer endgültigen Vernichtung erweisen. Und für mich war er auch nicht gut. Aber ich glaube, ich kann da etwas verändern, für die Überlebenden und für mich selbst.«
    »Ein paar Sachen sind nicht so, wie du glaubst«, sagte sie. Er sah sie leicht erstaunt an. »Erzähl.«
    »Als ich Vater das letzte Mal sah, hat er mir von Kellick und Sanasu erzählt. Er hat sie geliebt, wusstest du das?«
    »Was?«
    »Er hat sie geliebt. Vater hat gesagt, nach Kellicks eigener Darstellung wollte er nur herausfinden, was die Qar unter unserer Burg machten, also nahm er Männer mit und ging hin, um sie zu befragen. Doch sobald er Sanasu sah, entbrannte sein Herz in solcher Liebe zu ihr, dass er sich nicht mehr vorstellen konnte, ohne sie nach Hause zu gehen. Inmitten der Diskussionen, des Ärgers und Misstrauens auf beiden Seiten sagte er es ihrem Bruder, ohne zu wissen, dass Janniya nicht nur ihr Bruder war, sondern auch ihr Verlobter. Außer sich über diese, wie er es empfand, tödliche Beleidigung, ging Janniya auf Kellick los, und in dem Kampf, der daraus entstand, kam Janniya um, und die wenigen überlebenden Qar flohen. Kellick nahm Sanasu mit, und nicht lange danach heiratete er sie. Ob sie es wollte oder nicht, wisse niemand, hat Vater gesagt, aber sie hätten bis zu Kellicks Tod eine Ehe geführt, die ganz harmonisch wirkte.«
    »Also war das Verbrechen kein Verbrechen, weil es aus Liebe begangen wurde?«
    »Nein.« Wieder ergriff Briony seine kalte Hand. »Aber selbst du musst doch wohl zugeben, dass es nicht das Verbrechen war, das die Geschichten daraus gemacht haben. Liebe und ein dummer, tödlicher Unfall sind doch etwas anderes als Mord und Vergewaltigung.«
    Er dachte eine ganze Weile nach. »Da ist was dran«, sagte er schließlich. »Ich werde darüber nachdenken. Und ich werde es auch den Qar erzählen. Ändern wird es vielleicht nichts.« Im Dämmerdunkel sah Briony wenig von ihm außer den harten Konturen seines Gesichts, und obwohl es die Stimme ihres Zwillingsbruders war, die da sprach, klang auch sie anders: Barrick war

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