Das Hexenkloster
einmal hatte er das Bedürfnis zu weinen. Er kam sich so leer vor, so verlassen. Das Gewehr war zu einem Gegenstand geworden, der ihm auch nicht weiterhalf. Hinter seinen Augen lag ein Druck, wie er ihn selten erlebt hatte.
»Vergiss sie!«, riet ihm Paula. »Du kannst sie nicht mehr zurückholen. Sie wird einen anderen Weg gehen.«
Ike Turner stand für einen Moment unbeweglich. Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper. Er schüttelte den Kopf und sprach die Antwort mit wütender Stimme aus. »Nein, ich werde sie nicht vergessen, das schwöre ich euch. So leicht gebe ich meine Frau nicht auf. Und dass ich schießen kann, das habe ich bereits bewiesen. Ich will Kelly sehen, auch diese verdammte Assunga. Ich will den Weg in die Hexenwelt wissen.«
»Wir können ihn dir nicht zeigen!«, schrie Marnie Steel.
Genau darauf hatte Ike gewartet. Er wollte sich ihr zuwenden, um durch Drohungen seiner Forderung mehr Gewicht zu verleihen, als etwas passierte, mit dem wohl niemand gerechnet hatte.
Im Hintergrund, also jenseits des Pfahls, veränderte sich die Dunkelheit. Sie zog sich zurück, um etwas anderem Platz zu schaffen.
Plötzlich waren die Frauen nicht mehr interessant für ihn. Er konnte seinen Blick nicht mehr vom Hintergrund lösen, der bereits zu einer anderen Welt geworden war. Ein schummeriges Grün war dort zu erkennen.
Er sah einen Schatten darin. Wenn ihn nicht alles täuschte, war es eine Frau.
Aber nicht seine!
Die Hexe vielleicht?
Assunga hieß sie, und dieser Name wirbelte durch seinen Kopf. Etwas zwang ihn, näher an das Geschehen heranzutreten. Es war wie ein fremder Wille, der ihn da leitete.
Und er sah!
Nicht nur die Fremde, denn neben ihr und leicht versetzt, stand eine Frau, die ebenso gekleidet war wie die fünf anderen Weiber in seiner Nähe.
Es war Kelly!
Kennen Sie das Gefühl oder sogar das Wissen, das einen überkommt, wenn man sich sicher ist, zu spät zu kommen?
Sicher kennen Sie das. In diesem Fall hatte es Bill und mich ergriffen. Man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass wir in diesem Fall immer zu spät gekommen waren, und weshalb hätte sich das ändern sollen?
Trotzdem beeilten wir uns.
Es wäre leichter gewesen, wenn wir den Weg in den Keller sofort gefunden hätten. Aber wir mussten einige Zeit lang durch die Stille im ehemaligen Kloster laufen. Doch plötzlich hörten wir ein Geräusch, das uns verdammt bekannt vorkam.
Ein Schuss!
Beide blieben wir stehen und schauten uns an. Bill nickte mir zu. »Ja, das war ein Schuss, John.«
»Ich glaube auch.«
Wir hatten keine Ahnung davon, wer den Schuss abgegeben haben könnte, aber es war uns klar, dass wir uns verdammt beeilen mussten. Endlich fanden wir die recht versteckt liegende Treppe in die Tiefe des Klosters. Sie war ziemlich lang und mit breiten Stufen bestückt, aber unten, an ihrem Ende, erwartete uns rötliches und auch gelbes Licht.
Fackel- oder Kerzenschein...
Da wussten wir, dass wir unser Ziel gefunden hatten...
***
Ike Turner sah die beiden Frauen und hielt sie zunächst für eine Erscheinung oder für etwas, das nicht wahr war, weil ihm sein eigenes Gehirn etwas vormachte.
Zwei Frauen – und eine davon war seine Kelly!
Er schüttelte den Kopf, bewegte die Lippen, ohne etwas zu sagen, und seine Augen waren weit geöffnet. In diesen langen Augenblicken stürmte etwas auf ihn ein, das so einfach und mit dem normalen Denken nicht zu begreifen war.
Kelly stand etwas im Hintergrund, umgeben von diesem ungewöhnlichen grünen Licht. Er wusste nicht, ob sie ihn ebenfalls sah, und das wollte Ike herausfinden.
Doch die zweite Frau zog seine Aufmerksamkeit in ihren Bann. Er spürte, dass sie etwas Besonderes war. Der Name Assunga fiel ihm wieder ein, und er fragte sich, ob sie es war, die so genannt wurde.
Beim ersten Hinsehen sah es so aus, als würde sie das gleiche Outfit tragen wie Kelly. Aber im nächsten Moment erkannte er, dass sie kein Kleid trug, sondern einen Umhang. Er war zu den Beinen hin weit geschnitten und erinnerte in seiner Form fast an eine Glocke.
Als Ike den Pfahl erreicht hatte, blieb er stehen. Er trug noch sein Gewehr und empfand die Waffe plötzlich als lächerlich. Weglegen wollte er sie allerdings auch nicht.
Er musste sich regelrecht anstrengen, um den Namen seiner Frau aussprechen zu können. Und als er es schließlich geschafft hatte, da klang seine Stimme so leise, dass sie ihn bestimmt nicht gehört hatte.
Paula meldete sich zu Wort. »Du kannst sie nicht
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