Das Hexenkloster
Plötzlich drehte sich die Umgebung, und er nahm sich vor, die nächsten Bewegungen langsamer durchzuführen.
Danach stand er auf – auch das klappte recht gut – und schaute sich um. Der Rucksack lag in seiner Nähe, aber von Kevin sah er keine Spur. Er war mitgenommen worden.
Den Fluch konnte er nicht unterdrücken. Die Wut und der Zorn steckten tief in ihm. Er hatte das Gefühl, in einem Kerker zu stecken, der Glaswände besaß, durch die er ins Freie schauen, allerdings nicht dorthin gelangen konnte.
Das dumpfe Gefühl im Kopf blieb, und da war ein fieses Brennen auf seiner Stirn. Langsam hob er die rechte Hand und strich darüber hinweg, doch er fühlte nichts, abgesehen von der glatten Haut.
Dass er sich hier an diesem Ort nicht mehr länger aufhalten wollte, lag auf der Hand. Er musste weg, zuerst zu seinem Geländewagen, einem Pick-up, laufen und dann nach Hause fahren, wo seine Frau sicherlich auf ihn wartete. Sie hatte an diesem Tag frei und gab keine Yoga-Kurse wie sonst in der Woche.
Den Rucksack nahm er mit. Um an ihn heranzukommen, musste er sich bücken, was er nur sehr vorsichtig durchzog, denn der Schwindel wollte ihn wieder packen. Im Rucksack steckte nur die Wasserflasche. Ein Rest befand sich darin. Damit wollte er den Durst löschen und auch das leichte Kratzen im Hals wegbekommen.
Die Flüssigkeit tat gut, und er fühlte sich nach dem letzten Schluck aus der Flasche gleich besser. Danach machte er sich auf den Weg zu seinem Auto. Er musste durch einen lichten Wald dorthin, wo ein Waldweg endete. Da hatte er das Auto abgestellt.
Turner war zwar etwas wackelig auf den Beinen, und das Gehen bereitete ihm schon leichte Probleme. Sein Kopf war nicht in Ordnung. Ike hatte das Gefühl, als summte ein Bienenstock darin. Aber er hielt sich tapfer, biss die Zähne zusammen und hielt Ausschau nach dieser Frau und dem kleinen Jungen.
Kevin war ihm ans Herz gewachsen und das, obwohl er ihn nur einige Minuten kannte. Er hatte Angst um ihn. Diese fremde Frau war ihm unheimlich und wirkte abgebrüht und knallhart.
Dass sie ihn niedergeschlagen hatte, das war bestimmt nicht grundlos geschehen. Sie musste ein Motiv gehabt haben, denn so einfach schlug man keinen Menschen nieder.
Und es musste ihr um den Jungen gehen. Für sie war es wichtig, ihn wieder in ihre Gewalt zu bekommen, was letztendlich ja auch geklappt hatte.
Wenn man Ike Turner fragte, woher er kam, dann lautete die stolze Antwort immer Schottland. Ja, er fühlte sich als Schotte und nicht als Brite oder Engländer. Von dort hatte er etwas Besonderes mitgebracht – die Sturheit dieser Menschen.
Wenn er sich mal an einem Problem festgebissen hatte, dann ließ er es so leicht nicht los. Dann blieb er dabei – oft bis zum bitteren Ende –, und so würde es auch hier sein. Er würde den Jungen nicht vergessen, er würde seine Spur aufnehmen oder zumindest den Versuch starten. Er würde mit Menschen in den Dörfern reden und ihnen Kevin beschreiben. Er war sich sicher, dass jemand Kevin kannte. Aber zuvor musste er mit seiner Frau Kelly sprechen, denn auch sie kam herum. Durch ihre Yoga-Kurse kam sie mit zahlreichen Menschen zusammen. Bei ihr war die Chance sogar noch größer, dass sie etwas herausbekam.
Der Nebel überholte ihn nicht. So konnte sich Ike normal orientieren. Bald lichtete sich der Wald noch mehr, und er konnte durch die Lücke seinen dunklen Pick-up erkennen.
Kein Mensch war ihm auf der Strecke begegnet, und das setzte sich jetzt fort. Auch wenn er den schmalen Weg entlangschaute, sah er niemanden – weder zu Fuß noch auf dem Bike.
Turner stieg in den Wagen.
Er war froh, sich setzen zu können. Fit fühlte er sich noch immer nicht. Sein Rucksack fand auf dem Beifahrersitz seinen Platz.
Ike holte aus der Jackentasche den Schlüssel hervor und schob ihn ins Zündschloss. Gleichzeitig merkte er das Brennen auf seiner Stirn wieder deutlicher. Er schaute in den Innenspiegel – und zuckte hart zusammen.
Genau dort, wo ihn der Schlag getroffen hatte, malte sich etwas ab. Ein roter, fast schon feuriger Streifen. Vom Haaransatz bis zur Nasenwurzel hin.
Turner schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht fassen. Er hatte keine Erklärung dafür. Nur wurde er den Gedanken nicht los, dass da etwas Unheimliches auf ihn zukam...
***
»Sheila hat ein Problem, John«, sagte Bill Conolly.
»Aha. Mir dir?«
»Nein, wo denkst du hin?«
Ich lachte. Obwohl ich Bill nicht sah, weil wir telefonierten, konnte ich mir vorstellen, dass
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