Das Hexenkreuz
Stroh.
Die
Auseinandersetzung mit seiner temperamentvollen Tochter war unvermeidlich
gewesen. Oh, wie er sich sein verstorbenes Weib Agostina herbeisehnte. Wie so
oft schweiften seine Gedanken ab ... Elf Kinder hatte ihm seine Frau im Laufe
der Jahre geschenkt, und nur drei davon hatte ihnen der Herrgott gelassen. Wieder
einmal verfluchte der Conte die boshafte Laune des Schicksals, wenn er an seine
Zwillinge dachte. Äußerlich glichen sie einander sehr, dabei konnte es unter
Gottes Himmel keine zwei von der Wesensart verschiedenere Menschenkinder geben.
Was hatte er nur verbrochen, dass der Herr ihn mit dem grausamen Scherz
gestraft hatte, indem er die Seelen seiner Kinder vertauscht hatte? Seine
Tochter Emilia war schön wie der junge Morgen, doch ihr Eigensinn trieb ihn in
den Wahnsinn. Sie trug die Hosen ihres Bruders Emanuele, ritt wie der Teufel
und focht und handhabte den Bogen geschickter als jeder Mann. Wie die wilde
ungezähmte Gegend, aus der sie stammte, strotzte sie vor Kraft und
ursprünglichem Leben. Allein oder mit ihrer besten Freundin Serafina, der
Enkelin der verstorbenen Seherin, streifte sie durch die endlosen Wälder,
kletterte auf Berge und erforschte Höhlen, die es in den zerklüfteten Felsen zu
Hunderten gab. Hungrig wie ein Wolf, mit Augen, aus denen die Erlebnisse des
Tages leuchteten, fand sie sich zum Abendessen wieder ein.
Mit einem
Seufzer wandten sich Abelardos Gedanken seinem Sohn Emanuele zu. Dieser besaß eben
jenes sanfte Gemüt, das er sich für seine Tochter so sehr gewünscht hätte.
Leider verabscheute Emanuele auch jegliche Form von Gewalt. Das ging so weit,
dass er die Teilnahme an der Jagd ablehnte - Vergnügen und Pflicht eines jeden
jungen Adeligen!
Im Alter von
acht Jahren hatte sich die erste Tragödie in ihrem jungen Leben ereignet: Die Gräfin
Agostina starb bei der Geburt ihres elften Kindes. Ein jeder in der Familie
trauerte auf seine Art: Der Conte wandte sich dem Weinkeller zu, Emanuele dem
Gebet und Piero, der älteste Sohn, schickte eine knappe Kondolenzschrift, dass
ihn dringende Geschäfte in Venedig davon abhielten, dem Grab der Mutter einen
Besuch abzustatten.
Emilias
Trauer aber wandte sich dem Zorn zu - einem Zorn, der sich gegen alles und
jeden zu richten schien. Das kleine Mädchen trauerte mit der Heftigkeit
griechischer Tragödinnen. Es hatte vieler Monate bedurft, bis sich ihr
Verhalten wieder der Normalität angenähert hatte und noch länger, bis ihr
Lachen zurückgekehrt war.
Ihr Zwillingsbruder
Emanuele hatte sehr früh den Ruf Gottes vernommen. Vor vier Jahren, mit gerade
dreizehn, war er in Rom in das dortige Jesuitenkolleg eingetreten.
Danach hatte
Emilias Wildheit einen neuen Höhepunkt erreicht. Außerstande, seiner Tochter
Herr zu werden, hatte er beschlossen, ihre Erziehung in berufenere Hände zu
legen: Er schickte sie in das Klarissenkloster nach Assisi. Es erwies sich
schnell, dass das Lebensmotto der frommen Schwestern, ` Betend und arbeitend
in der Stille präsent zu sein ´, sich kaum mit Emilias freiheitsliebender Wesensart
vereinbaren ließ.
Nachdem seine
Tochter das Kunststück vollbracht hatte, der Aufsicht der Klarissen ein weiteres
Mal zu entwischen, um abgerissen wie eine Landstreicherin nach Hause
zurückzukehren, wie ein menschlicher Bumerang, fügte sich ihr Vater in sein
Los. Wenn schon die strengen Klarissen mit Emilia ihre liebe Not hatten, wie
sollte er, ihr alter Vater, ihr Paroli bieten? Insgeheim gestand er sich ein,
dass sich in dieser Nachlässigkeit auch eine gehörige Portion Egoismus verbarg:
Emilias Daseinsfreude und Lachen erfüllten das alte Gemäuer mit Leben. Wenn er
sie nicht in seiner Nähe wusste, fühlte er sich doppelt einsam.
Die guten
Schwestern zu Assisi jedenfalls schienen über Emilias Ausscheiden nicht betrübt
zu sein. Sie schickten dem Grafen eine gespickte Rechnung, die unter anderem die
Kosten für die Reparatur einer Nebenpforte auswies. Ansonsten unternahmen sie
nicht den leisesten Versuch, den Herrn Grafen zu überzeugen, ihnen Emilia zurückzuschicken.
„Die sind froh, mich los zu sein, Papa“, meinte Emilias dazu. Danach küsste sie
ihn auf die große, rot geäderte Nase, dass sein Vaterherz schmolz, und hüpfte
davon, neuen Streichen entgegen.
Hier stand
er nun und erntete die Früchte dieser sträflichen Vernachlässigung. Er selbst
hatte es versäumt, ihr Respekt und Demut beizubringen. Und trotzdem regte sich
auch immer ein wenig Stolz in seinem Herzen, wenn er dieses
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