Das Hexenkreuz
vitale Geschöpf vor
sich sah. Seine Tochter! Wenn sie nur nicht so auf ihren eigenen Kopf
beharren würde, dachte er und tat sich selbst leid. Die Leute im Dorf hatten
Recht, wenn sie behaupteten, Emilia hätte den Teufel im Leib, während das Licht
Gottes in ihrem Bruder wohnte.
Ein letztes
Mal räusperte er sich, dann stellte er sich ihrem flammenden Blick. „Nun… ähm…
Liebes Kind, beruhige dich doch erst einmal“, sagte er und zupfte verlegen an
seinem grauen Spitzbart. „Setzen wir uns und sprechen in Ruhe.“
Nur widerstrebend
kam Emilia seiner Aufforderung nach.
Der Conte
suchte sichtlich nach dem richtigen Einstieg. Auf der Suche nach Inspiration geriet
ihm just seine Schwester Colomba ins Visier. Sie war eine zänkische alte Jungfer,
die bei ihm, wie sie selber beteuerte, das Gnadenbrot fristete. Allerdings aß
Colomba sehr zum Verdruss ihres Bruders mit einer Unersättlichkeit, die ihresgleichen
suchte. Soeben grub sie ihre großen gelben Zähne in ein Stück Weißbrot, das
sie dick mit Olivenpaste bestrichen hatte.
Das schlechte
Gewissen des Conte fand in ihr sein Ventil. „Colomba, he da“, brüllte er in
ihre Richtung, „Mach dich nützlich, anstatt mir die letzten Haare vom Kopf zu
fressen! Hol´ uns einen Krug Wein aus dem Keller, aber von dem guten
Montepulciano! Und untersteh dich, alte Vettel, auch nur einen Tropfen zu
stibitzen. Sonst setzt es was!“, polterte er weiter.
Colomba
hatte das Kauen eingestellt und rang sichtlich um Fassung. Mit einem Schnauben
watschelte sie dann davon.
„Ha, es ist
also wahr, Vater“, fauchte Emilia. „Ihr könnt mir noch nicht einmal in die Augen
sehen! Der letzte Schafhirt ist über meine Verlobung im Bilde. Nur die Braut
selbst, die lässt man im Ungewissen! Mama würde sich für Euch schämen, Vater.
Aber ich werde nicht heiraten. Niemals. Hört Ihr? Lieber stürze ich mich
vom Bergfried!“ Wutentbrannt war das junge Mädchen aufgesprungen, so dass hinter
ihr die Bank umstürzte. Emilia achtete auf nichts und niemanden mehr, sondern
hielt mit brennenden Augen auf den Ausgang zu. Die drei Hunde, in der Annahme,
sie wolle mit ihnen spielen, rannten ihr kläffend hinterher.
Emilias
Flucht endete abrupt im Türrahmen: Sie stieß dort mit einem jungen Mann
zusammen. Mittelgroß und stämmig gebaut, fing er sie mit einem lauten „Holla“
auf. Seine erlesene Kleidung stach ihr sofort ins Auge. Unter dem Rock aus
blauem Atlas lugte eine Weste aus Goldbrokat hervor, während die muskulösen
Beine in blitzblanken Reiterstiefeln steckten. Die Sporen waren wie Pferdeköpfe
geformt.
„Hoppla,
kleine Schwester! Immer noch so stürmisch, wie ich sehe.“ Ihr älterer Bruder
Piero lachte ihr spöttisch ins Gesicht.
„Und du
immer noch so verschwenderisch, wie ich sehe!“, fuhr Emilia ihn unwirsch
an.
Piero
lächelte weiter auf sie herab, doch es war ein Lächeln, das sich nicht auf seine
Augen ausdehnte. Er sah auf männliche Art gut aus, doch die beginnenden
Fältchen ausschweifender Lebensart milderten den angenehmen ersten Eindruck.
Emilia wand
sich heftig in seinem Griff: „Lass mich sofort los!“ Und da er nicht hörte,
holte sie blitzschnell aus und trat ihm kräftig gegen das Schienbein.
„Miststück“,
knurrte Piero, gab sie aber nicht frei. Emilia fauchte wie eine Katze und
versuchte, ihn in die Hand zu beißen.
„Lass deine
Schwester los, Piero. Sofort!“ Für einen kurzen Augenblick hatte die Stimme des
Grafen zu früherer Autorität zurückgefunden. Piero zuckte mit den Achseln. Er
grinste Emilia an, als würde er sich über etwas freuen, von dem sie noch keine
Ahnung hatte. Dann schubste er sie lässig von sich.
„Setzt euch
und haltet gefälligst Frieden. Wirklich, ihr beiden führt euch auf wie zwei
Hähne, die denselben Misthaufen verteidigen“, sagte der Conte grob. „Aber so
wart ihr ja schon immer …“, ergänzte er mit einem Schnauben.
Colomba
kehrte mit dem gewünschten Krug Wein zurück. Beim Anblick Pieros erhellte sich
ihr Gesicht. Er war seit jeher ihr erklärter Liebling. Zärtlich lächelte sie
ihm mit ihrem Pferdegebiss zu. Alle blieben stumm, während sie reihum die Gläser
füllte. Danach machte Colomba Anstalten, sich auf der Bank vor dem Kamin
niederzulassen. Doch der Conte zeigte unmissverständlich zur Tür und mit
beleidigter Miene trippelte sie davon.
Emilia sah von
ihrem Bruder zu ihrem Vater. Hinter ihrer klaren Stirn arbeitete es sichtlich.
Der Conte
wiederum hielt seinen Kopf beharrlich auf
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