Das Hexenschiff
verloren. Fast kam ich mir vor wie in einem zur Landung ansetzenden Jet. Auch wir gingen tiefer, nur befand sich unter uns keine Rollbahn, sondern der Ort Kelgin.
Sollte das wieder unser Landeplatz werden?
Für einen Moment war mein Blickwinkel ziemlich günstig. Keine Woklen trübten die Sicht, ich erkannte die Straße, in der ich meinen Wagen geparkt hatte. Es gab ihn nicht mehr! Im ersten Moment dachte ich an einen Irrtum, sah noch einmal hin und mußte feststellen, daß der Wagen verschwunden war.
Wer hatte ihn genommen?
Darüber zerbrach ich mir den Kopf, ohne eine Lösung zu finden. Automatisch kam ich auf Suko und Bill. Vielleicht hatten sie den Wagen benötigt.
Menschen entdeckte ich keine. Nach wir vor wirkte die Hauptstraße wie leergefegt.
Schon bald war das Dorf unter uns verschwunden, und die unheimliche Reise ging weiter.
Wenn ich jetzt in die Tiefe schaute, sah ich die Küstenlandschaft von Wales unter mir. Sanfte Hügelketten, mit Gras bewachsen. Dazwischen die Täler, schmale Wege, in der Ferne eine steile Küste, wo die Brandung wie ein weißer Bart gegenschäumte, und wenig später befanden wir uns bereits über dem Meer. Esmeralda schlich herbei. Ihr Anblick erinnerte mich wieder an die Tatsachen und auch daran, daß ich hier keine Ballonfahrt unternahm, wenn es auch manchmal so aussah.
»Wir sind bald da!« erklärte sie mir und funkelte mich an. »Ja, wir sind bald da. Dann wird sich euer Schicksal erfüllen. Mich und meine Hexenschwestern haben sie zu töten versucht, es aber nicht geschafft. Wir nahmen dafür Rache. Der Teufel läßt seine Diener nicht im Stich, das kann ich dir schwören. Man setzte uns aus, wir wurden angetrieben und baten die Menschen, uns zu helfen. Sie taten es nicht, dafür werden sie bezahlen. Mit allem, was sie haben. Mit ihrem Leben!« Sie setzte ein Lachen hinterher, das mir Angst einflößte.
Dann drehte sie sich um, bevor ich noch eine weitere Frage stellen konnte.
Sie schritt hoch zum Aufbau, blieb dort stehen wie eine Königin, und ihre Haare flatterten im Wind, während sie mir noch mit aller Kraft entgegenschrie: »Rache für Wikka! Rache für unsere Königin, die auf euer Konto geht, und die ihr…« Den Rest der Worte riß ihr der scharfe Wind von den Lippen, der auch über mir das fast zerfetzte Segel knattern ließ.
Es war eine unwirkliche Situation. Zwar war ich Vorjahren einmal an einen Mast gefesselt worden, da befand sich das Schiff jedoch nicht in der Luft, sondern auf dem Wasser, wo es hingehörte. [2] Das Meer rückte näher.
Schon jetzt sah ich die weite Dünung, die langen Wellen mit ihren weißlich und glasartig schimmernden Kämmen, die dem Strand entgegenrollten.
Ich konnte bis zum Horizont schauen, wo der graue Himmel und das Wasser zu einer Einheit zusammenwuchsen. An Deck tat sich etwas. Die vier Hexenschwestern von Esmeralda nahmen ihre Plätze ein. Und ich sah, daß sie sich bewaffnet hatten.
Sie trugen Peitschen!
Es hatte ja so kommen müssen. Ich dachte an die zerfetzte Kleidung der Rudersklaven. Bestimmt waren die Menschen schon von den Hexen malträtiert worden.
So grausam dieser Vorgang auch war, er war gleichzeitig irgendwie natürlich, denn im Altertum und auch noch im Mittelalter, zur Hochblüte der Segel-Schiffahrt, wurde auf gewissen Booten und Schiffen gepeitscht. Besonders dann, wenn Sklaven ruderten und die oft schweren Schiffe durch die wilden Fluten trieben. Die vier Hexen hatten sich die Arbeit aufgeteilt. Jeweils zwei von ihnen bewachten die Reihe der Sklaven und würden, wenn diese nicht gehorchten, eiskalt zuschlagen.
Noch hatte das Schiff keinen Kontakt mit der See. Das würde sich in den nächsten Sekunden ändern, denn die wie aus Glas geschliffenen Wellenberge rauschten heran.
Ich bekam wieder Zeit, an meinen Fesseln zu arbeiten. Zunächst einmal spielte ich Schlange. Dabei drehte ich mich in den Stricken, ruckte gleichzeitig mit dem Oberkörper vor, wieder zurück und merkte, daß der Mast doch nicht so knochenhart war. Er gab knirschend nach. Das Hexenschiff setzte auf.
Es ging nicht so glatt wie bei der Landung eines Jets. Die Wellen waren unberechenbarer. Sie hämmerten gegen den Rumpf, schüttelten das Schiff durch, und das übertrug sich auch auf mich, so daß ich in den Stricken nach vorn, zur Seite und gegen den Mast geschleudert wurde, der leider noch hielt.
Selbst die Hexen hatten es schwer, sich auf den Beinen zu halten. Einmal kippte das Boot nach Backbord, so daß in die Reihen der
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