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Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Titel: Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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Verlierer sich dann mit schlaffen Segeln dahinquälen musste – eine für alle sichtbare Peinlichkeit.
    Lasseur sah in die Ferne. Seine Hände umklammerten die Reling so fest, dass seine Knöchel weiß wurden, und Hawkwood wusste, dass er an sein eigenes Schiff dachte. Hawkwood versuchte sich vorzustellen, was dem Privateer durch den Kopf gehen mochte, aber er wusste, dass er dessen Gedanken nicht erraten konnte. Seine eigene Welt war so verschieden von der Welt Lasseurs, dass jeder Versuch, sich in ihn hineinzudenken, zwecklos war.
    Zwar hatten sie beide Berufe, die nicht ganz ungefährlich waren, doch damit endete die Ähnlichkeit auch schon. Hawkwoods Welt bestand aus düsteren Straßen, Slums und Bordellen, aus Diebsküchen voller Hehler und Strolche. In völligem Gegensatz dazu bestand Lasseurs Welt aus dem offenen Deck eines Segelschiffs in voller Fahrt. Hawkwoods Welt war eine eng begrenzte, dazu fast so dunkel und menschenunwürdig wie das Geschützdeck auf diesem Schiff, Lasseurs dagegen war eine Welt der Freiheit, des offenen Meeres und des weiten, endlosen Himmels. Lasseur musste sich auf diesem Hulk vorkommen wie ein Vogel, dessen Flügel man gestutzt hatte. Kein Wunder, dass er so fest entschlossen war, zu fliehen.
    »Was meinen Sie, wie lange es tatsächlich dauern wird?«, fragte Lasseur. Er hatte Hawkwood nicht angesehen, sondern beobachtete weiter die beiden Schiffe, die sich dem offenen Meer näherten.
    »Murat?«
    Lasseur nickte.
    »Er ist im Vorteil«, sagte Hawkwood. »Er wird uns wahrscheinlich warten lassen, selbst wenn es ihm nur darum geht, uns zu zeigen, dass wir auf ihn angewiesen sind. Es könnte schon etwas dauern.«
    Lasseur sah ihn an. Sein Gesicht wirkte niedergeschlagen. »Wenn ich noch länger hier sein muss, dann drehe ich durch, das schwöre ich.«
    »Wir müssen einen Tag nach dem anderen nehmen«, sagte Hawkwood. »Wir müssen es einfach so sehen. Ich sage es zwar nicht gern, aber in einer Beziehung hatte dieser Bastard Recht.«
    »In welcher?«
    »Dass wir geduldig sein müssen.«
    Lasseur verzog das Gesicht. »Das ist nicht gerade eine meiner Stärken.«
    »Meine auch nicht«, gab Hawkwood zu, »allerdings haben wir keine Wahl. Im Moment glaube ich nicht, dass wir weiter viel tun können.«
    Lasseur nickte müde. »Natürlich haben Sie Recht. Aber das heißt noch nicht, dass ich es gut finden muss, oder?«
    Hawkwood antwortete nicht. Er dachte wieder an die Meute Halbnackter, die aus den Luken gekommen war, und an den Aufruhr, den sie verursacht hatte. Lasseur hatte das Gefängnisschiff als die Hölle bezeichnet. Bisher hatte dieser Vergleich auf schreckliche Art und Weise gestimmt. Während seiner Dienstzeit als Runner hatte Hawkwood viele Londoner Gefängnisse besucht, darunter Newgate, Bridewell und Fleet. Ohne Ausnahme waren alle schrecklich. Aber dieser schwarze, herzlose Schiffsrumpf war noch etwas anderes. Hawkwood spürte es, hier war das wirkliche Grauen am Werk. Er wusste noch nicht, von welcher Art es war und ob er jemals damit konfrontiert werden würde, aber instinktiv wusste er, es würde mit nichts zu vergleichen sein, was er bisher erlebt hatte.

6
     
    Was den Gestank betraf, so hatte der Dolmetscher nicht Recht gehabt. Nach vier Tagen hatte Hawkwood sich noch immer nicht daran gewöhnt. Gestank war ihm nichts Neues, dafür hatte sein Leben in London gesorgt, aber in der eingeschlossenen Enge dieses Geschützdecks erzeugten vierhundert menschliche Körper ihren eigenen Mief, und obwohl Geschützöffnungen und Luken offen waren, kam bei diesem warmen Wetter kein frischer Windhauch ins Schiff. Die Brise, die über das brackige Wasser kam, brachte auch keine Erleichterung. Sie wälzte lediglich den feuchten Fäkaliengeruch vom Marschland herüber, der wie eine schwere, nasse Decke auf dem verschmutzten Fluss lag.
    Dennoch hatte Hawkwood den Eindruck, dass Murat vielleicht doch nicht ganz richtig gelegen hatte mit seiner Behauptung, dass das Fieber und die Schwindsucht die häufigsten Todesursachen auf dem Schiff waren. Soweit Hawkwood es beurteilen konnte, war eine der Hauptursachen sicherlich die ununterbrochene Langeweile.
    Manche der Gefangenen beschäftigten sich durchaus sinnvoll, indem sie künstlerischen oder handwerklichen Tätigkeiten nachgingen, andere unterrichteten oder selbst am Unterricht teilnahmen, oder indem sie sich als Schuster oder Händler für Tabak oder sonstige Dinge betätigten, doch schien es Hawkwood, als sei das eine Minderheit. Eine

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