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Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Titel: Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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zu sein und etwas Ruhe zu haben. Auch er versuchte es, so oft er konnte, und nutzte diese Gelegenheit, um den täglichen Routineablauf auf dem Schiff genau zu studieren. Und bei diesen Beobachtungen kam er zu dem Schluss, dass eine erfolgreiche Flucht vom Schiff so gut wie unmöglich war. Sie lagen nur einen Steinwurf von der Mitte der stark befahrenen Flussmündung entfernt, waren von unwirtlichem Marschland umgeben, dazu schwer bewacht von einer Miliz und einem Commander, der bereit war, bei Auflehnung Waffengewalt anzuwenden. Sie hätten genauso gut auf dem Schiff eingemauert sein können.
    Ludd war der Meinung gewesen, dass es in den letzten Wochen vier Männern gelungen wäre, zu fliehen. Aber in der kurzen Zeit, die er an Bord war, hatte Hawkwood noch keinen einzigen Hinweis gefunden, wie sie das hätten schaffen können. Er hatte versucht, Fouchet und die anderen festzunageln, aber zu seinem Frust waren sie genauso wenig eine Hilfe gewesen wie Leutnant Murat.
    Mit Ausnahme der Bewohner des Orlopdecks und derer, die sich in ihre eigene kleine Welt zurückgezogen hatten, beschränkte sich das Leben der übrigen Gefangenen auf die sozialen Kontakte innerhalb der kleinen Gruppe, mit der sie zum Essen eingeteilt waren. Viele von ihnen wussten wahrscheinlich nicht einmal, dass jemand geflohen war, geschweige denn, wie die Flucht bewerkstelligt worden war. Sie konnten es erst durch die verstärkte Präsenz der Milizionäre und des Commanders bemerken, und durch das massive Vorgehen der Wachen, wenn sie das Deck inspizierten oder außerplanmäßig alle nach oben beorderten, um sie zu zählen. Jemand, der so gut informiert war wie Fouchet, wusste natürlich mehr, aber der Lehrer war viel zu vorsichtig, als dass er derartige Dinge mit einem Neuen besprochen hätte, besonders im Hinblick auf Murats Bemerkung, dass es hier Informanten gebe. Hawkwood hatte schon oft verdeckt gearbeitet, und obwohl Geduld nicht gerade seine Stärke war, wusste er, dass ein unauffälliges Verhalten besser war als zu viele direkte Fragen.
    Ludds Verdacht, es könne sich bei den Fluchten um ein organisiertes Vorgehen handeln, war ihm von Murat bestätigt worden. Und doch hatte Hawkwood immer noch keine Ahnung, wer hinter der Sache steckte. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, ehe der Dolmetscher sich wieder an ihn wandte. Eine Woche? Zwei? Einen ganzen Monat? Oder noch länger? Bei diesem Gedanken lief es Hawkwood kalt über den Rücken. Sein Treffen mit Ludd sollte in drei Tagen stattfinden. Würde er ihm wenigstens etwas Positives berichten können? Es sah nicht so aus. Wenn man sich hier nicht in eine Ratte verwandeln und durch die Gitterstäbe schlüpfen konnte, wie Hawkwoods kleine geschwänzte Freundin neulich, dann schien der einzige andere Weg vom Schiff herunter der einer in Segeltuch gewickelten Leiche zu sein. Und selbst dann würde man nicht sehr weit kommen.
    Es hatte mehrere Todesfälle gegeben, seit Hawkwood an Bord war. Die Ursache war jedes Mal das Marschfieber gewesen. Besonders im Sommer forderte es viele Opfer unter den Schwachen und Unterernährten. Es war ganz natürlich, dass auch das Alter eine Rolle spielte, obwohl in der drangvollen Enge eines Hulks weder Fieber noch Typhus noch Pocken besonders wählerisch unter ihren Opfern waren. Zwei der Toten waren in den Zwanzigern gewesen.
    Es hatte keinerlei Zeremonie gegeben. In schmutzige Säcke verpackt, die man in aller Eile aus Segeltuch genäht hatte, waren die Leichen im Netz an der Winsch hängend in ein wartendes Boot hinuntergelassen worden. Dann war die traurige Fracht von einer Gruppe Gefangener, die dazu abgestellt und von vier Milizionären bewacht waren, zu einer Sandbank gerudert worden, die eine halbe Meile vom Heck entfernt lag. Hawkwood und Lasseur hatten stumm zugesehen, wie die Leichen auf das Vorland hochgetragen und in eine Grube geworfen wurden, die man weiter hinten am Strand gegraben hatte. Soweit sie sehen konnten, war bei der Beerdigung kein Wort gesprochen worden, ehe das Boot sich auf den Rückweg machte.
    Was Hawkwood ebenfalls bemerkt hatte, war, dass außer ihm, Lasseur und einer Handvoll neuer Gefangener niemand von diesem Vorfall Notiz nahm. Auf der Rapacious waren Tote und ihre Entsorgung etwas ganz Alltägliches.
     
    Es war der Nachmittag seines fünften Tages an Bord. Hawkwood lehnte an der Reling des Vordecks und gönnte sich eine Pause, nachdem er drei Stunden lang Fässer mit getrockneten Heringen und Säcke voll Zwiebeln

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