Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
sie mit Fäusten und Füßen, wobei sie mit ihren Sprüngen und Verrenkungen an ein Rudel bösartiger Paviane erinnerten. Andere begnügten sich damit, auf ihre blechernen Essnäpfe zu schlagen. Es war ein ohrenbetäubender Lärm.
Vom Quarterdeck ertönten Alarmrufe. Als die Milizionäre sich endlich besonnen hatten und eilig ihre Musketen von der Schulter nahmen, erschien hinter ihnen ein großer, hagerer Offizier in Uniform. Seine Größe wurde durch den dunklen Dreispitz noch unterstrichen. Es war der Commander des Gefängnisschiffes, Leutnant Hellard. Von Wachen flankiert, trat er rasch an die Reling und starrte auf das Chaos. Er verzog angewidert das Gesicht und gab einen Befehl. Ein halbes Dutzend weiterer Wachen, angeführt von einem Korporal, kam mit lautem Getrampel aus dem Schuppen am Heck angerannt. Ihre Gefährten, die bereits an der Reling standen und nun sicher sein konnten, dass sie Verstärkung hatten, legten die Finger an die Abzüge ihrer Musketen. Innerhalb von Sekunden zielte eine Reihe von Gewehrläufen auf die gesamte Breite des Quarterdecks.
Das Chaos im Park hielt unverändert an, und der Leutnant hob den Arm. Der Korporal bellte einen Befehl, die Milizionäre zielten immer noch.
Um Gottes willen!, dachte Hawkwood. Er macht Ernst!
Doch der Leutnant gab den Befehl nicht. Stattdessen fuhr er fort, das Drama, das sich auf Deck abspielte, zu beobachten. Die Wachen fingerten nervös an den Abzugshähnen ihrer Musketen herum.
Der Aufruhr setzte sich noch zwei bis drei Minuten fort. Dann veränderte sich die Situation so plötzlich, als habe jemand einen entsprechenden Befehl erteilt. Die nackten und togaumhüllten Männer zogen sich zurück. Die anderen Gefangenen gruppierten sich neu. Einige von ihnen, durch den Rückzug der Eindringlinge ermutigt, stürzten sich auf ihre Peiniger und trieben sie mit Fausthieben zu den offenen Luken. Ein paar von ihnen schwangen Stöcke, ihre Arme unermüdlich im Einsatz. Das wütende Schmerzgebrüll bewies, dass ihre Schläge saßen. Die zurückgedrängten Angreifer verschwanden wieder in den Luken, aus denen sie hervorgekrochen waren, wie Kakerlaken, die vor dem Licht flüchten.
Es schien nur Sekunden, bis sich die Eindringlinge wieder verzogen hatten. Sofort reckten sich mehrere Hände in die Luft, die Handflächen geöffnet zum Zeichen, dass die anderen Gefangenen auf Deck die Situation wieder unter Kontrolle hatten. Der Leutnant jedoch bewegte sich nicht, er machte auch keinerlei Andeutung, ob er die hochgereckten Hände überhaupt wahrgenommen hatte. Er blieb weiterhin reglos stehen und beobachtete das Deck. Die Häftlinge, immer noch keuchend, starrten zurück. Manche von ihnen bluteten oder hatten blaue Flecken. Eine angespannte Stille senkte sich über den Park. Hoch in der Luft schrie eine Möwe. Keiner rührte sich. Nach weiteren zehn Sekunden senkte der Leutnant den Arm und trat zurück. Sofort war die Anspannung auf Deck wie weggeblasen. Die Milizionäre sicherten ihre Musketen und hängten sie wieder über die Schulter. Die Verstärkung machte kehrt. Die Wachen gingen auf ihre Posten zurück. Die Atmosphäre an Deck nahm wieder die gewohnte Dumpfheit an. Die verletzten Gefangenen zogen sich zurück, um ihre Wunden zu lecken.
Hawkwood merkte, dass er unwillkürlich die Luft angehalten hatte. Jetzt atmete er tief durch.
»Was war denn das?«, sagte Lasseur, ebenfalls aufatmend. »Wer um Himmels willen waren denn die?«
»Römer«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Miststücke!«
Hawkwood und Lasseur drehten sich um. Es war Charbonneau.
»Römer?«, sagte Hawkwood, der glaubte, sich verhört zu haben.
»Abschaum«, sagte Charbonneau mit wütendem Gesicht. »Die hausen auf dem untersten Deck. Man sieht sie nicht sehr oft. Sie bleiben gern im Dunkeln. Manche von ihnen sind noch länger hier als ich. Wir nennen sie Römer, weil sie ihre Decken wie Togen tragen. Sie haben auch noch andere Namen, aber eigentlich sind es wilde Tiere. Früher waren sie in Gefängnissen an Land. Ich habe gehört, dass sie zur Bestrafung hier auf die Schiffe verlegt wurden. Und seitdem leiden wir anderen doppelt.«
»Einige von ihnen waren nackt!«, stellte Lasseur überflüssigerweise fest.
Charbonneau nickte. »Das sind die Verkommensten von allen. Sie haben alles, was sie besaßen, verspielt. Das Spielen hält sie am Leben, es ist ihnen zur Sucht geworden. Ihr Leben wird nur noch von Karten und Würfeln bestimmt. Zuerst spielen sie um Geld. Wenn das weg ist,
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