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Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman

Titel: Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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eingeschätzt, und es hatte gar keine Ausbrüche gegeben, sondern nur Auseinandersetzungen, die hier ausgefochten wurden, worauf man die Überreste der Toten über die Latrinen oder die Blechnäpfe der Rafalés entsorgt hatte.
    Aber damit konnte man doch sicher nicht alle fehlenden Männer erklären, oder?
    Was hatte Matisse gesagt? Dass es schon eine Weile her gewesen sei, seit sie etwas Unterhaltung gehabt hatten. Damit hatte er gemeint, dass seit dem letzten Duell einige Zeit vergangen war. Aber Ludd hatte Hawkwood und Read gesagt, die Ausbrüche seien erst vor ganz kurzer Zeit gewesen. Vielleicht hatten es tatsächlich einige Männer geschafft, vom Schiff zu entkommen, lebend und im Ganzen, statt in Einzelteilen durch die Latrinenöffnungen.
    Aber trotzdem mussten die Kopfzahlen noch manipuliert werden. Wie leicht war das? Soweit er gesehen hatte, ließ die Sorgfalt beim Abzählen viel zu wünschen übrig. Die Differenz musste ja nur so lange vertuscht werden, wie der Flüchtende brauchte, um vom Schiff zu kommen und an Land einen guten Vorsprung zu erreichen.
    Doch Hawkwood sah ein, dass diese Spekulationen zu nichts führten. Es waren alles nur Theorien. Sein Auftrag war nicht nur ein Scherbenhaufen, sondern er lag mausetot im Wasser. Was man ruhig wörtlich nehmen konnte.
    Und wie würde er sich diesmal aus dem Schlamassel befreien? Er musste es Ludd wissen lassen, aber das hatte Hellard fürs Erste unterbunden. Wenn er zu der Verabredung nicht erschien, würde Ludd sicher Erkundigungen einholen. Er würde Hawkwoods Schicksal bald in Erfahrung bringen und versuchen, ihn zurückzuholen. Die Admiralität würde sich einen neuen Weg einfallen lassen müssen, um die Fluchtwege und das Schicksal der beiden anderen Offiziere aufzuklären. Was für ein verdammtes Fiasko! Hawkwood verfluchte seine Dummheit. Plötzlich stellte er fest, dass das Hämmern in seinem Kopf fast ganz aufgehört hatte. Wenigstens etwas, wofür er dankbar sein konnte.
    Die anhaltenden harten Hustenanfälle eines Gefangenen etwa sechs Pritschen weiter unterbrachen seine Gedanken. Es verschlimmerte sich, bis es sich anhörte, als würde der Patient gleich alle seine Eingeweide als blutige Brocken ausspucken. Innerhalb von Sekunden hatte sich ihm ein ganzer Chor angeschlossen, dessen krächzendes, rasselndes Husten zu einem wahren Crescendo anschwoll, das von den Schotten widerhallte. Es wurde von grauenhaftem Würgen und Keuchen begleitet. Im Krankenrevier breitete sich der Gestank von Exkrementen und frisch Erbrochenem aus. In der Dunkelheit sah Hawkwood, wie Krankenwärter mit Ledereimern und Lappen zwischen den Pritschen hantierten. Von den Wachen der Miliz war keine Spur zu sehen. Hawkwood vermutete, dass sie sich in die relative Sicherheit von Treppenschacht und Niedergang zurückgezogen hatten.
    Allmählich ebbte das Husten ab, denn die meisten der Patienten waren einfach zu erschöpft. Hawkwood sah den
    Arzt Girard. Er beugte sich über die Pritschen und untersuchte die Kranken. Sein Gesicht war ernst. Dreimal sah Hawkwood, wie der Arzt den Finger an den Hals des Patienten legte und dann müde den Kopf schüttelte. Die Laken wurden hochgezogen, um die Gesichter der Toten zu bedecken. In dem trüben Licht sah das Gesicht des Arztes aschfahl aus. Wenn der Tod bestätigt worden war, wickelten die Krankenwärter die Leiche in das Laken, bis sie einem großen Kokon ähnelten. Auf ein Nicken des Arztes hin wurde jeder eingewickelte Tote von der Pritsche gehoben und ohne größere Umstände in einen Nebenraum am Ende des Krankenreviers gezerrt. Mit etwas Mühe konnte Hawkwood einen Blick durch die Luke erhaschen. In dem Nebenraum lagen mindestens zehn eingewickelte Bündel nebeneinander auf dem Boden. Er vermutete, dass die Leichen von Matisse und dem Jungen sowie von den anderen, die im Laderaum getötet worden waren, auch darunter waren.
    Die meisten der Laken, in die die Toten gewickelt waren, hatten dunkle Flecken. In der Dunkelheit war es schwer, ihre Farbe zu erkennen. Sie waren schwarz, wie Teer. Hawkwood wusste jedoch, dass es kein Teer war, es war Blut, das die Patienten herausgewürgt hatten.
    »Vielleicht sterben wir ja am Fieber, ehe wir verlegt werden«, sagte Lasseur niedergeschlagen, als er über Hawkwoods Schulter spähte.
    »Wenn ich die Wahl hätte«, sagte Hawkwood und starrte auf die dreckigen, blutigen Laken, »würde ich mich für die Samson entscheiden.«
    »Weil Sie meinen, solange es Leben gibt, gibt es Hoffnung?«,

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