Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
herumgesprochen?«, sagte Fouchet trocken. »Morgen früh findet die Hinrichtung statt.«
Es gab keinen Galgen.
Vom Großmast in zwei gleiche Hälften geteilt, hob sich die Rahe gegen den Morgenhimmel ab wie die Arme einer Vogelscheuche. Auf der Backbord- und Steuerbordseite hingen jeweils drei Holzblöcke. Durch jeden der Blöcke lief ein Seil, an dessen einem Ende eine Schlinge war. Das andere Ende des Seiles war auf Backbord und Steuerbord mit einer Klampe am Schanzkleid befestigt.
Eine Reihe von Milizionären mit aufgepflanzten Bajonetten bewachte die Reling. Die restliche Besatzung hatte auf dem Quarterdeck Aufstellung genommen. Leutnant Hellards Gesicht war ernst, er hatte den ebenso ernst blickenden Thynne auf seiner Rechten und den Dolmetscher Murat auf der linken Seite. Die Männer hatten die eben aufgegangene Sonne im Rücken. Beide Offiziere trugen volle Uniform. Ihnen gegenüber auf Backbord stand eine Reihe von Gefangenen, einige in gelber Gefängniskluft, einige in Zivil. Erst hatte Hawkwood gedacht, es handle sich um die Verurteilten. Doch bei näherem Hinsehen und nachdem er sie gezählt hatte, musste er feststellen, wie klug Hellard gehandelt hatte. Es waren die Mitglieder des Gefangenentribunals.
Diesmal konntet ihr euch ja recht schnell versammeln, wenn es darum geht, Matisses Leute baumeln zu sehen , dachte Hawkwood.
Er hatte schon vorher eine Bestrafung an Bord erlebt, als er nach der Blamage von Coruña nach England zurück reiste. Ein Seemann, der in betrunkenem Zustand einen Befehl missachtet hatte, wurde ausgepeitscht. Man hatte ihn auf Deck auf einem Schutzgitter festgebunden, wo er vierundzwanzig Hiebe bekam, ausgeführt vom Maat des Bootsmanns. Die gesamte Mannschaft musste sich versammeln und zuschauen, und auch damals hatten mehrere Navysoldaten, die Musketen im Anschlag, bereitgestanden.
Gegen die Reling der Back gequetscht, neben sich Lasseur und hinter sich die beiden Wachen vom Krankenrevier, musste Hawkwood daran denken, wie ähnlich diese Situation hier war. Doch auch wenn der Schauplatz fast identisch war, die Stimmung war ganz anders. Die Auspeitschung des Seemanns war von düsterem Schweigen begleitet gewesen, während die Atmosphäre an Deck der Rapacious eher an eine öffentliche Hinrichtung erinnerte, wie sie vor den Londoner Gefängnissen stattfanden.
Es war Commander Hellards Befehl gewesen, dass alle Gefangenen, einschließlich der Schiffsbesatzung, der Exekution beiwohnen sollten, außer denen, die zu krank waren, um das Krankenrevier zu verlassen. Die große Anzahl der Gefangenen auf dem Schiff jedoch hatte die praktische Durchführung unmöglich gemacht, so dass der Befehl schließlich dahingehend geändert wurde, dass von jeder Essgruppe mindestens zwei Personen anwesend sein sollten, einschließlich der Rafalés. Dementsprechend überfüllt waren jetzt die Decks, und Hawkwood konnte sich nicht erinnern, schon jemals eine so jämmerliche, abgerissene Ansammlung von Menschen gesehen zu haben.
Unten im Park war die Luft sauer vom Gestank dreckiger, ungewaschener Körper, aber unter den Männern knisterte eine Spannung, die schon fast an freudige Erregung erinnerte. Hawkwood wäre nicht weiter überrascht gewesen, wenn die fliegenden Händler des Schiffs auch hier aufgetaucht wären und versucht hätten, Geschäfte zu machen, ähnlich den Pastetenverkäufern und Süßwarenhändlern, die die Menschenmengen vor dem Gefängnis von Newgate versorgten.
Während er zusah, versuchte Hawkwood das Gefühl zu ignorieren, wie sich ihm langsam, aber unerbittlich sein Hals zuschnürte, ebenso wie den Schweiß, der ihm zwischen den Schulterblättern den Rücken hinunterlief.
Ein Murmeln lief durch die Menge, als die Verurteilten aufs Deck geführt wurden, die Hände auf dem Rücken gefesselt und von Wachen der Miliz flankiert. Zwei der Männer trugen eine Toga, die anderen hatten ihre gelbe Kluft an. Ihre Gesichter waren zum Teil übel zugerichtet. Die beiden, die eine Toga trugen, hatten auch Verletzungen an Armen und Beinen. Hawkwood fragte sich, wie viele der Verletzungen von dem Gemetzel im Laderaum herstammten, und wie viele durch das Eingreifen der Miliz entstanden waren.
Irgendjemand im Park rief etwas Obszönes, worauf andere mit einem wahren Pfeifkonzert reagierten. Die verurteilten Männer waren kreideweiß und man sah, wie stark sie zitterten.
»Ruhe!« Die Stimme von Sergeant Hook schallte über das Deck. Als die Milizionäre anfingen, den Männern die Schlingen
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