Das Höllenschiff: Historischer Kriminalroman
sagte Lasseur. Der Privateer konnte den Zynismus in seiner Stimme nicht verbergen.
Für mich vielleicht , dachte Hawkwood. Ich habe wenigstens eine Rettungsleine, einen Ausweg .
Auf Lasseur wartete lediglich eine weitere Bootsfahrt und eine ungewisse Zukunft in einer neuen schwimmenden Hölle. Hawkwood wunderte sich selbst, wie sehr Lasseurs Schicksal ihm zu schaffen machte.
Er sah hinüber zu den Krankenwärtern, die den Boden um die leeren Pritschen schrubbten. Ein bekannter Geruch breitete sich im Raum aus.
»Das nennt man Hämoptyse.«
Der Arzt stand am Fußende von Hawkwoods Pritsche. Er wischte sich die Hände an einem nassen Lappen ab, der stark nach Essig roch. Sein Haar hing ihm feucht in die Stirn. Er sah müde und abgespannt aus.
»Die meisten hier leiden darunter. Es wird durch den Blutandrang in der Lunge verursacht, der bei Schwindsucht und Fieber und einem Dutzend weiterer Krankheiten entsteht. Ich habe versucht, Dr. Pellow zu überreden, einige der Schwerkranken auf die Sussex bringen zu lassen, aber er meinte, dort sei kein Platz. Auf der Werft gibt es auch kein Krankenhaus, also müssen wir hier tun, was wir können. Wie Sie sehen, sind wir räumlich ohnehin sehr beschränkt. Morgen früh werden die armen Teufel begraben, zusammen mit den anderen.« Girard steckte den schmutzigen Lappen in seinen Hosenbund.
»Die anderen?«, sagte Lasseur und runzelte die Stirn.
»Matisses Männer. Die, die schon tot sind, und die, die aufgehängt werden.«
»Das Urteil wird hier an Bord vollstreckt?«, fragte Hawkwood.
Der Arzt nickte mit düsterer Miene.
»Ich dachte, das würden sie an Land machen.«
»Es sieht so aus, als ob Commander Hellard es schnell hinter sich bringen will.«
»Ich hätte angenommen, dass die britische Admiralität da noch ein Wort mitzureden hat«, meinte Hawkwood. »Natürlich müssen sie bestraft werden, aber es sieht ja ganz so aus, als nähme der Leutnant das Gesetz selbst in die Hand.«
»Auf diesem Schiff ist der Commander Richter, Jury und Scharfrichter zugleich. Ich würde sagen, Leutnant Hellard markiert sein Revier. Und außerdem – denken Sie, dass in der britischen Admiralität auch nur ein Mensch wegen einer Handvoll ausländischer Mörder schlaflose Nächte verbringt? Ich glaube nicht.« Nach einer Pause fügte Girard hinzu: »Ich habe gehört, dass einige der Gefangenen sich freiwillig gemeldet haben, sie hochzuziehen.«
»Mein Gott!«, entfuhr es Lasseur, doch dann sagte er nachdenklich: »Eigentlich kann man es ihnen nicht verdenken. Ich bezweifle, dass auch nur einer diesen Mistkerlen nachtrauern wird.«
Der Arzt zog die Brauen hoch. »Ich habe gehört, man hat Sie und den Captain für eine Heiligsprechung vorgeschlagen.«
»Dann ist es kein Wunder, dass der Leutnant uns loswerden will«, prustete Lasseur los. »Wann soll die Hinrichtung sein?«
»Bei Sonnenaufgang.«
»Dann beten wir mal um gutes Wetter«, sagte Lasseur. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Sébastien!«
Hawkwood und Girard drehten sich um.
Der Lehrer kam angehinkt. Er trug zwei Blechnäpfe und zwei Löffel. »Ich habe Ihnen etwas vom Abendessen aufgehoben. Ich dachte mir, dass Sie vielleicht hungrig sind.«
»Solange es kein Hering ist«, sagte Lasseur und verzog das Gesicht. »Sonst würde ich anfangen zu kotzen, wie diese anderen armen Teufel hier.«
»Brot, Kartoffeln und etwas Schweinefleisch.« Fouchet reichte ihnen die Näpfe. »Viel ist es nicht.«
Lasseur beäugte den Inhalt misstrauisch. »Sind Sie auch ganz sicher, dass es Schweinefleisch ist?« Er sah Hawkwood an.
»Es könnte auch Hammelfleisch sein«, sagte Fouchet mit zusammengezogenen Brauen. »Was für einen Tag haben wir heute?«
»Vielleicht esse ich nur die Kartoffeln«, sagte Lasseur.
»Ich glaube, es ist okay«, sagte Fouchet. »Soweit wir wissen, hat Matisse lange niemanden mehr umgebracht.«
»Dann haben Sie also davon gehört?«, sagte Hawkwood.
Fouchet nickte. »Es ist auf dem ganzen Schiff herum.«
Lasseur starrte trübsinnig auf seinen Essnapf. »Was ist eigentlich mit Juvert passiert?«
»Der sitzt im schwarzen Loch bei den Ratten und leckt seine Wunden. Nach einer Woche dort unten frisst er seine eigene Scheiße.« Ohne eine Spur von Mitleid zu zeigen deutete der Lehrer auf das Essen. »Wenn Sie jetzt nicht essen wollen, dann heben Sie es für später auf.«
Lasseur stellte den Blechnapf hin.
»Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte Girard. »Ich muss mich um meine Patienten kümmern.
Weitere Kostenlose Bücher