Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Kelly?«, forderte ihre Mom sie auf.
    » Was?«
    » Das war keine Bitte.«
    » Was?« Mom störte ihre Konzentration erheblich.
    » Du und Florence – ihr nehmt den Hund und geht Gassi mit ihm.«
    Kelly drückte auf Pause. Mom hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Muskeln spielten wie die eines Mannes. Unbewusst nahm Kelly ihre eigenen Oberarme in Augenschein. Sie war zwar stolz darauf, stärker als andere zu sein, wollte aber nie so wie ihre Mutter aussehen. Nie . Muskeln und Frauen passten einfach nicht zusammen.
    » Grandma schafft das schon allein.«
    Die beiden blickten zu Grandma hinüber. Die fünfundsechzigjährige Frau zerrte an JD s Leine, aber der Hund hockte mitten auf der Straße und leckte sich zwischen den Hinterläufen. Mit einem Gewicht von gut fünfzig Kilo wog der Schäferhund in etwa so viel wie Grandma.
    » Kelly, ich will dich nicht noch einmal fragen.« Mom hatte die Stimme gesenkt. » Gib ihr eine Chance. Bitte. Tu es für mich.«
    Kelly stieß einen lauten Seufzer aus und rollte mit den Augen, obwohl Mom sie so gut wie nie um etwas bat. Dann steckte sie den iPod in ihre Bauchtasche und begab sich zu Grandma und dem Hund. Es war schlimm genug, dass Grandma nach dem Ironwoman-Wettkampf zu ihnen ziehen würde. Aber Mom hatte auch noch darauf bestanden, dass Kelly ihr großes Zimmer an ihre Großmutter abgeben und in ein wesentlich kleineres ziehen sollte.
    Total unfair.
    Kelly verstand ebenfalls nicht, warum Grandma unbedingt zu ihnen kommen musste. Sie und Mom hatten sich vor Jahren zerstritten – kurz, nachdem Dad gestorben war –, und Kelly hatte ihre Grandma nicht mehr gesehen, seit sie sechs Jahre alt war. Sie hatte keinen Schimmer, warum die beiden so lange nichts voneinander wissen wollten, aber das schien jetzt sowieso egal zu sein. Sie taten sogar so, als ob sie füreinander sorgten. Auf einmal herrschte eitel Sonnenschein und großes Familienglück.
    » Ganz schön dickköpfig.« Grandma ließ die Leine locker. Sie trug das Gleiche wie Kelly: eine kurze Jogging-Hose und ein zu großes T-Shirt, das sie trotzdem mehr oder weniger ausfüllte. » Ich glaube nicht, dass er mich mag.«
    » Er bewegt sich nur für mich oder Mom. Wenn er dich nicht leiden könnte, würdest du es wissen. Knurren, aufgestellte Nackenhaare und so. Komm her, JD .«
    Bei diesem Kommando stellte JD die Ohren auf und sprang zu Kelly, wobei er sich mühelos von Grandma losriss. Er stupste das Mädchen mit seinem massiven Schädel gegen die Hüfte und leckte dessen Arm, ehe er sich dem Schorf an Kellys Knie zuwandte, den sie sich einige Tage zuvor beim Training zugezogen hatte.
    Grandma folgte ihm. Sie war weder so muskulös noch so groß wie Mom, aber die beiden Frauen sahen einander dennoch extrem ähnlich. Wenn all drei Pillsburys nebeneinander standen, glaubte man, dieselbe Person in verschiedenen Altersstufen vor sich zu sehen. Sie hatten nicht nur allesamt blonde Haare, sondern auch noch die gleiche Frisur – einen Pferdeschwanz –, wobei bei Grandma bereits das Grau überwog.
    » Wollen wir Richtung Norden gehen?«, schlug Grandma vor und wies mit dem Kinn über Kellys Schulter. » Ich höre da einen Wasserfall. Den könnten wir uns anschauen.«
    » Ich höre nichts.«
    » Das wirst du aber, sobald wir etwas näher kommen. Los, gehen wir.«
    Grandma joggte locker los, überquerte die Straße und lief in den dichten Wald hinein. Kelly hatte ihr bisheriges Leben im Süden von Illinois verbracht, wo es so flach wie auf einer Kegelbahn war und nichts wuchs, das über zwei Meter hinauskam. West Virginia mit seinen Bergen und Wäldern kam ihr wie eine andere Welt vor. Es war wunderschön, aber Kelly hätte das nie offen zugegeben. Sobald Mom oder Grandma während der langen Autofahrt auf ein besonders hübsches Fleckchen aufmerksam machten, steckte sie ihre Nase noch tiefer in den iPod. Sie wollte ihnen keine Genugtuung geben, insbesondere nicht nach der Sache mit dem Zimmer. Die Wunde war zu frisch, denn Mom hatte es ihr erst am Tag zuvor unterbreitet, als sie Grandma vom Flughafen abholten.
    Warum hatte Mom Grandma nicht ihr eigenes Zimmer überlassen? Das war doch alles ein Haufen S.
    Nein, nicht S, sondern richtige, dampfende Scheiße.
    Kelly fühlte sich allein bei dem Gedanken an das Schimpfwort älter. Sie runzelte die Stirn, folgte dann aber ihrer Grandma in den Wald.
    Nach zehn Schritten kam es ihr vor, als ob der Wald sie bereits verschluckt hätte. Die Bäume waren überall, und jeglicher

Weitere Kostenlose Bücher