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Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Gedanke in ihrem Kopf geformt, war er allerdings schon wieder verflogen. Maria war so müde, dass sie wahrscheinlich sogar bei einem Metallica-Konzert eingeschlummert wäre.
    Sie spülte und drehte dann den Hahn auf, aus dem rostbraunes Wasser lief. Erst letzte Woche hatte sie einen Artikel über Bakterien in Leitungswasser gelesen. Deshalb entschied sie sich, beim Zähneputzen auf Nummer sicher zu gehen. Sie drehte den Hahn zu, legte die Zahnbürste aufs Waschbecken, öffnete die Tür und trat ins Schlafzimmer. Sie nahm den Koffer, der auf dem Boden stand, legte ihn auf das Bett und holte eine halb volle Flasche Wasser heraus. Dann drehte sie sich um, ging zwei Schritte in Richtung Bad und hielt abrupt inne.
    Hatte ich den Koffer nicht aufs Bett gelegt?
    Adrenalin schoss ihr in den Kopf, ihr Herz raste, und sie wandte sich langsam um. Sie starrte den Koffer an wie ein bösartiges Tier, eilte zur Tür und kontrollierte den Riegel.
    Noch immer zugeschoben. Der Schlüssel lag nach wie vor auf der Kommode. Maria drehte sich einmal um die eigene Achse, während sie alles in sich aufnahm. In einer Ecke stand ein kleiner Schreibtisch samt Stuhl. Auf dem Bett lag eine gelbe Tagesdecke mit rostbraunen Quasten. Es sah aus wie frisch gemacht. Die Schranktür stand offen, der Schrank war leer. Braune Vorhänge schmückten die Wand vor dem Fenster.
    Sie bewegten sich.
    Als ob sich jemand dahinter verstecken würde.
    Instinktiv wollte sie fluchtartig das Zimmer verlassen, doch dann überlegte sie. Sie befand sich im ersten Stock. Wie also sollte jemand durch das Fenster hereinkommen, um ihren Koffer umzustellen? Es schien viel logischer, dass sie den Koffer selbst auf dem Boden abgestellt hatte. Sie war schlichtweg zu müde, um sich daran zu erinnern. Und die Vorhänge bewegten sich, weil das Fenster offen stand.
    » Du bist fertig«, sagte sie laut. » Du leidest schon unter Halluzinationen.«
    Aber Maria war sich eigentlich sicher, dass sie den Koffer auf das Bett gelegt und den Reißverschluss geöffnet hatte, um die Kulturtasche herauszuholen. Da gab es im Grunde keinen Zweifel.
    War er vielleicht runtergefallen?
    Aber würde er dann so perfekt gelandet sein? Und warum hatte sie nichts gehört?
    Sie starrte erneut auf den Koffer. Er war schwer. Außer ihren Klamotten hatte sie eine ganze Palette Wasser mitgeschleppt – wegen ihrer neu entfachten Bakterienphobie. Sie hätte seinen Aufschlag nicht überhören können. Allerdings hatte sie sich auf die streitenden Männer konzentriert und …
    » Das Knarzen …«, sagte sie laut. » Ich habe das Knarzen der Dielen gehört.«
    Was, wenn es nicht aus einem der benachbarten Zimmer gekommen war?
    Was, wenn es aus ihrem Zimmer stammte – wenn jemand über ihren Boden gelaufen war?
    Eine Gänsehaut lief ihr über die Arme.
    Was, wenn der Einbrecher noch immer im Zimmer war?
    Sie hielt inne. Ihre Beine waren schwer, und ihr Mund fühlte sich so trocken an, dass ihr die Zunge an den Zähnen klebte. Sie war sich durchaus bewusst, dass ihre Paranoia vielleicht durch ihre Erschöpfung hervorgerufen wurde. Außerdem war die Wahrscheinlichkeit, dass jemand hier eingebrochen war, nur um ihren Koffer vom Bett auf den Boden zu stellen, gleich null.
    Und doch …
    Maria ballte die Hände zu Fäusten und entspannte sich dann wieder. Sie starrte auf die Vorhänge und traf eine Entscheidung.
    Ich muss nachschauen.
    Sie holte tief Luft, atmete langsam aus und schlich auf das Fenster zu. Die Vorhänge bewegten sich nicht mehr, und Maria zweifelte bereits daran, ob sie es jemals getan hatten. Sie ließen kein Licht in den Raum, obwohl es nur einfache Vorhänge waren. Aber schließlich lag die Pension irgendwo im Niemandsland, und durch den dichten Wald drang weder das Licht der Sterne noch das des Mondes.
    Entweder das, oder jemand sitzt auf dem Fensterbrett und lässt kein Licht durch.
    Maria schluckte. Sie wusste, dass sie es nur noch schlimmer machte. Sie verspürte den gleichen Adrenalinausstoß wie vor einem Wettkampf.
    Plötzlich hörte der Streit über ihr auf. Mitten im Satz. Tödliche Stille kehrte ein. Lediglich Marias zaghafte Schritte und das Knarzen der Dielen waren zu vernehmen. Der faule Gestank, den sie vorher schon wahrgenommen hatte, nahm zu, je näher sie dem Fenster kam.
    Könnte sich wirklich jemand hinter dem Vorhang verstecken und darauf warten, hervorzuspringen?
    Maria kam sich wie ein Kind vor, als ob sie noch einmal neun Jahre alt wäre und mit ihrem jüngeren Bruder

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