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Das Hungerjahr - Roman

Das Hungerjahr - Roman

Titel: Das Hungerjahr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aki Ollikainen
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schon hält das Männchen begeistert seinen Becher hin.
    Nachdem er seinen Schnaps bekommen hat, bemerkt der Pole die Frau, die am Ecktisch Platz genommen hat. Er steht auf und schwankt zu ihr hinüber. Sie legt ihm auf der Stelle den Arm um den Hals und lacht laut, als er ihre Brüste drückt. Den Mann, der bei ihr sitzt, kümmert das nicht, er lächelt nur und lehnt sich an die Wand. Aus seinem Stiefel ragt ein Messer, das Teo einen Moment zu lange anstarrt.
    Der Mann wirft Teo einen Blick zu, reibt sich das Kinn, zupft die Frau verstohlen am Ärmel und macht eine Kopfbewegung in Teos Richtung. Nun geht sie dazu über, Teo erregt anzuschauen und leckt sich dabei langsam mit der Zunge über die Vorderzähne. Das soll wohl verführerisch sein. Die Frau löst sich aus dem Griff des Polen.
    Die Wirtin tut so, als bemerke sie die Verlegenheit nicht, in die Teo gerät, und Teo findet auch bei dem Männlein, das dem letzten Schluck in seinem Becher etwas über Janne Halli zuflüstert, keinen Rückhalt.
    Krachend kippt der Pole auf den Tisch, als die Frau aufsteht.
    In dem Moment betritt Matsson die Kneipe und durchmisst mit ein paar Schritten den kleinen Raum. Die Frau schaut enttäuscht auf Matsson, dann auf ihren Begleiter, aber dieser begnügt sich mit einem resignierten Abwinken. Sogleich geht die Frau dazu über, mit kokettem Getue den Polen aufzuwecken.
    »Na?«, knurrt Matsson und fletscht die Zähne wie ein Wolf.
    Er schiebt das Männchen ans Ende der Bank, es will sich wehren, erkennt dann aber Matsson und lässt daraufhin den Kopf zwischen den schmalen Schultern sinken, wie ein Hund, der von seinem Herrchen bei einer Übeltat erwischt worden ist. Matsson gehört zu der Sorte Menschen, denen man die freundliche Natur nicht ansieht.
    »Eigentlich wollte ich gar nichts Bestimmtes von dir«, meint Teo beinahe beschämt.
    Nachdem er Cecilia und das Alhambra verlassen hatte, stand er eine Weile auf dem Marktplatz. Vom Meer her blies ein starker Wind, und Teo sah zu, wie große Wellen mit Schaumkronen gegen die Felsen schlugen. Er hatte das Gefühl, als würden die elenden Hütten der Stadtinsel Katajanokka dem Sturm nicht standhalten, wenn er nicht bei ihnen stünde, die Arme zu ihrem Schutz ausbreitete und das gnadenlose Meer beschwichtigte. Er hatte keine Lust, nach Hause zu gehen, in die leeren Zimmer, und in Gedanken an Cecilia zu schwelgen, die von Mal zu Mal unerreichbarer schien.
    Die Wolken zogen niedrig, drückten mit unwiderstehlicher Kraft alles unter sich nieder, es hatte den Anschein, als gebe die Halbinsel, auf der die Stadt lag, bald nach, worauf die Wassermassen über sie samt Felsenschloss-Villa und astronomischem Observatorium hinwegbrausen würden. Begleitet von feierlichem Tosen, würden sie die Nikolaikirche mit ihren Kuppeln und das Senatsgebäude unter sich begraben. Auch die neue Kathedrale der Ostkirche würde donnernd in die Wellen stürzen. Die Bordelle im Stadtteil Punavuori würde das Meer unmerklich hinwegspülen, ihre dürftigen Holzwände würden auseinanderfallen und wie Streichhölzer auf den Wogen treiben. So würde sie verschwinden, die Grüne Hölle, so ginge es verloren, das Alhambra. Und Cecilia mit ihnen.
    Teo sah vor sich, wie die roten Haare in der Tiefe schwebten und sich wie eine Wasserpflanze schlängelten, der Rock blähte sich wie die Glocke einer Qualle und beförderte den leblosen, aber schönen Körper an gesunkenen Schiffen, an der Landspitze von Hanko und den Ålandinseln vorbei nach Stockholm.
    Aber die Frau würde nie ihre Heimat Dalarna erreichen. Nahe einer vom Meer zerfressenen Insel geriete ihr Leib ins Netz eines Fischers, der Mann zöge Cecilia aus dem Meer, betrachtete die tote Seejungfrau, und auf seinem wettergegerbten Gesicht würde sich Verwunderung breitmachen.
    In Katajanokka war Teo schließlich in eine Kneipe gegangen, hatte sich dort aber bald unsicher gefühlt und darum den Sohn der Wirtin nach Matsson geschickt.
    »Was gibt’s denn sonst?«, wundert sich Matsson.
    »Es war nur … ich wollte dich eben sehen, Matsson.«
    »Leider kann ich nicht lange bleiben. Aber ich hätte etwas mit dem Doktor zu besprechen«, sagt Matsson und steht auf.
    Der Sturm hat nachgelassen. Einen Kampf hat die Stadt gewonnen, der Spitze auf der Kirchenkuppel ist es gelungen, Löcher in die Wolkendecke zu reißen, durch die der Mond schimmert.
    »Wenn ich der Doktor wäre, würde ich am warmen Kaminfeuer sitzen und mit anderen Gelehrten Likör trinken, anstatt meine Zeit

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