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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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zuzuflüstern: »Was habe ich bloß, was ist nur los mit mir?«

 
     
     
     
     
     
     
     
     
    zwei

Kapitel 7
     
    Ein kleines Schwert aus Gold. So sah er das Bild in seiner Erinnerung. In Wirklichkeit war es, und das wusste er genau, nur ein einfacher Brieföffner aus Kupfer mit einem nach spanischer Tradition ziselierten Griff. Der achtjährige Paul hatte es gerade seinem Vater aus der Werkstatt gestohlen und war damit in seinem Zimmer verschwunden. Er konnte sich ganz genau erinnern, wie sich dieser Moment angefühlt hatte, er sah die geschlossenen Fensterläden, spürte die drückende Hitze. Die tiefe Ruhe des Mittagsschlafs. Ein Sommernachmittag wie jeder andere, und doch hatten die letzten Stunden sein Leben für immer verändert.
    »Was hast du in deiner Hand versteckt?«
    Paul schloss seine Faust. Seine Mutter stand an der Türschwelle.
    »Zeig mir, was du da versteckst.«
    Ihre Stimme, aus der eine leise Neugier an sein Ohr drang, war ruhig. Paul schloss die Faust fester, als im Halbdunkel, zwischen den Lichtstrahlen, die durch die Jalousien drangen, seine Mutter auf ihn zukam. Dann setzte sie sich auf den Bettrand und öffnete sanft seine Hand: »Warum hast du diesen Brieföffner genommen?«
    Er konnte ihre Züge, die im Dunkel lagen, nicht erkennen.
    »Um dich zu verteidigen.«
    »Gegen wen willst du mich verteidigen?«
    Schweigen.
    »Willst du mich gegen Papa verteidigen?«
    Sie beugte sich zu ihm, und in einem Lichtstreifen konnte er ihr geschwollenes, von Blutergüssen marmoriertes Gesicht erkennen, dessen eines Auge, das Weiß getrübt von geplatzten Äderchen, einem Bullauge glich. Sie wiederholte: »Willst du mich gegen Papa verteidigen?«
    Er nickte, sein Kopf signalisierte Zustimmung. Nach einem Augenblick der Spannung, der Starre umarmte sie ihn voller Rührung. Paul stieß sie zurück. Er wollte keine Tränen, kein Mitleid. Nur die bevorstehende Schlacht zählte. Der Schwur, den er sich selbst gegeben hatte, als sein Vater am Abend zuvor völlig betrunken seine Mutter so lange geschlagen hatte, bis sie ohnmächtig auf dem Küchenfußboden liegen geblieben war. Als sich das Ungeheuer umgedreht und ihn erblickt hatte, ihn, seinen kleinen Sohn, der zitternd im Türrahmen stand, hatte es gedroht: »Ich komme wieder. Ich komme wieder und bringe euch beide um!«
    Da hatte Paul sich bewaffnet, und jetzt wartete er, das Schwert in der Hand, auf seine Rückkehr.
    Aber der Mann war nicht wiedergekommen. Nicht am nächsten Tag und nicht am übernächsten. Durch einen Zufall, dessen Geheimnis nur das Schicksal kennt, wurde Jean-Pierre Nerteaux noch in der Nacht, in der er die Drohungen ausgesprochen hatte, ermordet. Zwei Tage später fand man seine Leiche, in seinem eigenen Taxi, unweit vom Öldepot des Hafens von Gennevilliers.
    Als seine Frau Françoise von dem Mord hörte, hatte sie recht seltsam reagiert. Anstatt zur Identifizierung des Toten zu gehen, wollte sie an den Ort, an dem man ihn gefunden hatte, um sich zu vergewissern, ob der Peugeot 504 noch in Ordnung war oder ob es Ärger mit der Taxi-Gesellschaft geben würde.
    Paul konnte sich an das kleinste Detail erinnern. Die Fahrt im Bus nach Gennevilliers; das Gemurmel seiner Mutter, die wie betäubt war; seine Angst vor etwas, das er nicht verstand. Erst als er das Benzindepot erkannte, überkam ihn große Freude. Riesige Kronen aus Stahl, Unkraut und Gestrüpp auf einem aufgelassenen Gelände, wild wuchernd zwischen Betonruinen. Säulen aus Stahldraht rosteten vor sich hin - Kaktuspflanzen aus Metall. Eine echte Western-Landschaft wie die Wüste in den Comic-Bänden seiner Bibliothek.
    Mutter und Kind waren unter einem glutroten Himmel durch die Benzindepots gegangen. Am Ende dieser verlassenen Gegend hatten sie den großen Peugeot-Kombi entdeckt, zur Hälfte in den grauen Dünen verschwunden. Paul hatte alles, was geschah, mit seinen acht Jahren aufgeschnappt. Die Polizistenuniformen, die Handschellen, die in der Sonne blitzten, die leise gesprochenen Erklärungen, die Männer vom Abschleppdienst, schwarze Hände, die sich im hellen Licht um den Wagen zu schaffen machten...
    Zwar brauchte er eine Weile, um zu begreifen, dass man seinen Vater am Steuer erstochen hatte, doch bereits nach einem kurzen Blick durch die offene Hintertür des Wagens hatte er entdeckt, dass die Sitzlehne zerfetzt worden war. Der Mörder hatte sich durch den Sitz hindurch auf sein Opfer gestürzt.
    Dieser Anblick hatte das Kind tief getroffen, denn er gab den

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