Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
Er sah alles. Er betete, dass er sterben möge, bevor der Kampf zu Ende war, doch er konnte nicht anders, als ihnen mit den Augen zu folgen.
    Die Klinge stach zu, fuhr nach oben, stach wieder zu, hartnäckig, tief ins Fleisch. Sema krümmte sich. Azer packte sie an den Schultern und presste sie auf den Boden. Dann schob er ihre Waffe fort und fuhr mit dem Arm in die offenen Wunde.
    Ismail Kudseyi versank tief im Treibsand des Todes. Wenige Sekunden vor seinem Ende sah er, wie sich ihm scharlachrote Hände mit ihrer Beute entgegenstreckten.
    Semas Herz in Azers Händen.

Epilog
     
    Ende April beginnt in Ostanatolien auf den hohen Bergen der Schnee zu schmelzen, und es öffnet sich der Weg zum Nemrud Dag, dem höchsten Gipfel des Taurus-Gebirges. Zu diesem Zeitpunkt haben die Touristenströme noch nicht eingesetzt, und der Ort liegt geschützt in größter Einsamkeit.
    Nach jeder Mission wartete der Mann auf diesen Moment, um zu den Göttern aus Stein zurückzukehren. Er war am Vorabend in Istanbul abgeflogen und nachmittags in Adana gelandet. Er hatte sich ein paar Stunden in einem Hotel in der Nähe des Flughafens ausgeruht und war dann nachts mit einem Mietwagen losgefahren.
    Jetzt fuhr er in östlicher Richtung auf das vier Kilometer entfernte Adiyaman zu. Große Weideflächen erstreckten sich ringsherum, die ihn an überflutete Ebenen denken ließen. In der Dunkelheit erahnte er die leichten, wogenden Wellen, das erste Stadium der Reinheit. Er dachte an den Anfang eines Gedichts, das er in seiner Jugend geschrieben hatte: »Ich habe Meere von Grün durchquert ... «
    Als er die Stadt Gaziantep hinter sich gelassen hatte, veränderte sich die Landschaft. Sobald es Tag wurde, erschien das Taurus-Gebirge am Horizont. Die wogenden Felder verwandelten sich in steinerne Wüsten. Rote, steile, nackte Felsspitzen ragten empor. In der Ferne öffneten sich Krater wie getrocknete Sonnenblumen.
    Vor diesem Schauspiel empfand ein normaler Reisender Furcht, eine vage Angst. Er aber liebte diese Ocker- und Gelbtöne, die kräftiger und rauer waren als das Blau des Morgengrauens. Hier fand er seine Spuren wieder. Diese Trockenheit hatte seine Haut gegerbt. Es war das zweite Stadium der Reinheit, und ihm kam erneut sein Gedicht in den Sinn: »Ich habe Meere von Grün durchquert, die Steinwände umarmt, die Augenhöhlen der Dunkelheit...«
    Als er in Adiyaman anhielt, ging gerade die Sonne auf. An der Tankstelle füllte er selbst das Benzin ein, während der Tankwart die Windschutzscheibe säuberte. Er sah die Pfützen aus Eisen und die Häuser aus Bronze, die bis zum Fuß des Abhangs reichten.
    Auf der Hauptstraße sah er die Lagerräume von Matak, seine Hallen, in denen bald tonnenweise Früchte gelagert würden, um behandelt, zu Konserven verarbeitet und exportiert zu werden. Er war nicht sonderlich stolz darauf, solche einfachen Erfolge hatten ihn nie interessiert. Aber er spürte die unmittelbare Nähe des Berges, die Terrasse, die er gleich erreichen würde...
    Fünf Kilometer weiter verließ er die Hauptstraße. Hier gab es weder Asphalt noch Hinweisschilder. Nur einen in den Felsen gehauenen Weg, der sich bis zu den Wolken hinaufschlängelte. In diesem Moment war er wirklich im Land seiner Geburt angekommen. Hügel aus purpurfarbenem Staub, struppiges Gras in harten Büscheln, schwarzgraue Schafe, die, als er vorüberfuhr, kaum auseinander liefen.
    Er ging durch sein Dorf und begegnete Frauen mit goldverzierten Kopftüchern. Wilde Kreaturen, von der Erde gehärtet, eingemauert in Stein und Traditionen wie seine Mutter. Möglich, dass unter diesen Frauen Mitglieder seiner Familie waren...
    Weiter oben sah er Schäfer, auf einem Hügel zusammengekauert, in zu großen Jacken. Er sah sich selbst vor fünfundzwanzig Jahren an dieser Stelle sitzen. Er erinnerte sich noch an den Pullover, der sein Mantel gewesen war, mit zu langen Ärmeln, an deren Ende jedes Jahr ein bisschen mehr von den Händen zu sehen gewesen war. Die Strickmaschen waren sein einziger Kalender gewesen.
    In den Spitzen seiner Finger fühlte er es wieder wie früher, spürte seinen Kopf, wenn er sich vor den Schlägen seines Vaters schützte; die Süßigkeit der getrockneten Früchte, wenn er mit den Händen auf dem Rückweg von der Weide über die groben Säcke des Lebensmittelhändlers strich; den Saft der grünen Walnusshüllen beim Sammeln im Herbst, der ihm für den Rest des Winters die Handflächen braun färbte ...
    Jetzt gelangte er zwischen die

Weitere Kostenlose Bücher