0035 - Draculas Erbe
Unmöglich! , dachte Peter Conescu.
Ihm konnte man nicht so leicht Angst einjagen. Er war in den Bergen groß geworden. Er kannte hier jeden Weg, jeden Stein, jeden Hang. Aber was nun geschah, war einfach nicht zu erklären!
In dem Berg kochte und brodelte es. Sollte das ein Erdbeben sein? , fragte sich der alte Mann.
Er lehnte das Rad an die steile Böschung am Wegrand. Dann blickte er furchtsam nach oben. Da sah er, wie die Spitze der Druga zu zittern begann. War es also wirklich ein Erdbeben? Das war nicht zu fassen. Wo sollte in dieser Gegend sich nach dem Ausbruch vor vielen tausend Jahren noch glühende, Felsen zersprengende Lava befinden? Conescu hatte keine Erklärung dafür. Und trotzdem ahnte er, dass der Berg in den nächsten Sekunden mit lautem Knall zerspringen würde. Einfach zerplatzen, wie ein dünner Gummischlauch, in den man zu viel Luft gepumpt hatte. Und da brach es auch schon los.
Unwillkürlich zog Conescu den Kopf ein, als könnte er sich so vor der Masse der herabstürzenden Lava schützen. Aber er sollte sich noch mehr wundern. Unweit neben sich hörte er den peitschenden Aufschlag einer flüssigen Masse. Langsam hob er den Kopf.
Und traute seinen Augen nicht!
Was dort oben wie ein Ungewitter die Spitze der Druga sprengte, war kein Sturzbach von glühender Lava! Kein Feuer, keine millionenstarke Glut von flüssigem Gestein!
Es war Wasser! Ein ganzes Meer schien sich in dem Berg verborgen gehalten zu haben!
Nun stürzte es heraus, unaufhaltsam, unerbittlich und grauenvoll.
Immer mehr erzitterte der Berg, bebte bis in seine Grundfesten.
Und dann, mit einem ungeheuren Druck, mit tausendfachem Getöse, drängte sich ein Sturzbach aus der Felsenspitze und riss den ganzen Berg auf. Steinblöcke von der Größe eines Hauses wurden durch die Luft geschleudert wie winzige Kieselsteine. Felsstücke barsten aus dem Berg und stürzten mit höllischem Getöse in die Tiefe.
Wie durch ein Wunder wurde Peter Conescu von keinem der Steinbrocken getroffen.
Hastig hob er sein Fahrrad hoch, kletterte in den Sattel und fuhr davon, um dieser Hölle zu entgehen.
Wie jedermann in dieser kargen Gegend der Transsylvanischen Berge, dem geisterhaften Land Rumäniens, wusste er, wer hier die Hand im Spiel hatte.
Wenn irgendetwas Dämonisches geschah, wusste jeder Bescheid.
Wenn eine übermenschliche Teufelei im Gange war, wenn das Entsetzen um sich griff, dachten alle Menschen sofort an einen Namen.
Es war der Name des Menschen, der wie ein Drache rächend über das Land ging.
Es war der Name des Dämonen, der Dracula hieß.
Und wer an diesen Namen dachte, hatte die Furcht im Nacken und in allen Gliedern.
Peter Conescu fuhr davon, als sei der teuflische Dämon hinter ihm her. Hinter ihm allein und persönlich.
Erst, als er die Druga in seinem Rücken hatte, wagte er anzuhalten.
Seine Lungen keuchten.
Wie ein Wahnsinniger war er losgeradelt, hatte mit allen Kräften in die Pedale getreten. Nun stand er, wandte sich um.
Und sah das Unbegreifliche. Das endlose Grauen.
Die Wucht der ausbrechenden Wassermassen baute den Berg Stück für Stück ab.
Schon war die gesamte Spitze der Druga verschwunden; Tonnenschwere Blöcke wurden durch die Luft gewirbelt, zerbarsten mit ohrenbetäubendem Lärm an den Felshängen.
Und immer mehr Wasser schoss aus der kraterähnlichen Öffnung.
Eine neue Hölle war losgebrochen.
Eine Hölle, die schlimmer schien als alle Gluten der alten Hölle, von der man sich so Grauenvolles erzählte.
Hier tobte eine Hölle aus Wasser und Stein. Eine Hölle, deren Schlund von einer Sekunde auf die andere größer wurde. Je mehr Wasser aus der Öffnung schoss, umso riesenhafter wurde das Loch in dem Felsmassiv.
Und dann schossen Ströme von Wasser die Hänge hinunter.
Peitschten über Wege und Felsen. Fraßen sich in die magere Erde und schwemmten sie weg wie trockenen Sand. Das Wasser türmte sich zu hohen Wellen und begrub den Weg fast unter sich.
Peter Conescu, der alte Weinbauer, wurde fast von seinem Fahrrad gerissen. Zitternd vor Angst stieg er ab.
Er konnte nicht hinüber zur entgegengesetzten Felswand gehen, wo er vor den herabstürzenden Wassern geschützt wäre.
Er wollte zwar gehen. Aber er konnte nicht.
Die brausende Flut riss ihn von den Beinen. Er kippte um, spürte eine brechende Welle über sich hinwegspülen. Dann konnte er wieder Luft schnappen.
Mit äußerster Anstrengung gelangen ihm ein paar Schwimmstöße.
Dann konnte er sich auf den trockenen Felsen
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