Das Imperium der Woelfe
einzelne Strähne an und leuchten die Haarwurzeln ab. Nichts, nicht mal ein Riss. Die Kopfhaut ist makellos glatt. Nichts, gar nichts.
Nur mit Mühe kann sie die Tränen zurückhalten, ohne jede Vorsicht wühlt sie auf diesem Kopf herum, der sie verrät und ihr weismachen will, dass sie wahnsinnig ist, dass sie ...
Eine Hand packt ihr Handgelenk.
»He, was tust du denn da?«
Anna macht einen Satz nach hinten, die Taschenlampe rollt über den Boden. Laurent hat sich aufgerichtet, hat die Nachttischlampe angeschaltet und sagt immer wieder: »Was machst du bloß?«
Laurent erblickt die Halogentaschenlampe am Boden, die Polaroidkamera auf dem Nachttisch: »Was soll das heißen?«, zischt es durch wutverzerrte Lippen.
Anna antwortet nicht, sie lehnt an der Wand, während Laurent die Decke beiseite schlägt, aufsteht und nach der Taschenlampe greift. Voll Abscheu leuchtet er ihr direkt ins Gesicht.
»Du hast mich beobachtet, stimmt's? Mitten in der Nacht. Was um Himmels willen suchst du?«
Anna schweigt.
Laurent fährt sich mit der Hand an die Stirn und holt erschöpft Atem. Er hat nur eine Unterhose an und verschwindet im Ankleidezimmer nebenan, schnappt sich eine Jeans und einen Pullover, die er schweigend anzieht. Dann geht er aus dem Schlafzimmer, um Anna ihrer Einsamkeit und ihrem Wahn zu überlassen.
Anna lässt sich an der Wand nach unten sacken, sie kauert auf dem Teppichboden. Sie denkt nichts, nimmt nichts wahr. Bis auf das Klopfen in ihrem Körper, das immer stärker wird.
Laurent erscheint im Türrahmen, das schnurlose Telefon in der Hand. Er lächelt seltsam, sein Kopf nickt mitleidig, als hätte er sich beruhigt, in nur wenigen Minuten, und sei jetzt wieder bei Sinnen.
Auf das Telefon zeigend, sagt er mit sanfter Stimme: »Es wird schon wieder. Ich habe Eric angerufen. Ich bringe dich morgen ins Institut.«
Er beugt sich über sie, hilft ihr auf und führt sie langsam zum Bett. Anna leistet keinen Widerstand, während Laurent, als habe er Angst, sie zu zerbrechen, oder im Gegenteil Angst, gefährliche Kräfte in ihr zu wecken, sie mit größter Vorsicht auf das Bett gleiten lässt.
»Jetzt wird alles gut.«
Sie nickt, ihr Blick fällt auf die Taschenlampe, die er auf den Nachttisch gelegt hat, gleich neben den Fotoapparat. Sie stammelt: »Keine Biopsie, nicht diese Sonde. Ich will nicht operiert werden. «
»Zuerst macht Eric nur ein paar Untersuchungen. Er wird alles tun, um die Hirnentnahme zu verhindern. Ich verspreche es dir.« Er küsst sie. »Alles wird gut.«
Er schlägt vor, ein Schlafmittel zu nehmen, doch sie lehnt ab.
»Bitte«, sagt er eindringlich.
Sie willigt ein, dann bringt er sie zu Bett, streift die Decke über ihren Körper, rückt an ihre Seite und umarmt sie voll Zärtlichkeit, ohne seine innere Unruhe mit einem Wort zu erwähnen. Laurent verschweigt seine Bestürzung über den Wahnsinn seiner Frau.
Was denkt er wirklich? Ist er nicht erleichtert, sie loszuwerden? Bald vernimmt sie seinen regelmäßigen Atem, er schläft wieder. Wie kann er in einer solchen Situation einschlafen? Doch sie hat ihr Zeitgefühl verloren, womöglich sind schon etliche Stunden verstrichen. Ihre Wange liegt auf dem Brustkorb ihres Mannes, sie hört sein Herz schlagen, hört den ruhigen Herzschlag derer, die nicht verrückt sind, die keine Angst haben.
Sie merkt, wie das Beruhigungsmittel langsam Wirkung zeigt.
Eine Blume Schlaf, die langsam in ihrem Inneren erblüht... Sie hat das Gefühl, ihr Bett treibe davon, verlasse festen Boden. Langsam, gleichmäßig schwimmt sie durch die Dunkelheit, nicht der kleinste Widerstand regt sich, um gegen diese Strömung anzukämpfen. Sie muss sich nur entführen lassen vom Wogen der Wellen...
Sie schmiegt sich an Laurent und muss an die regenglänzende Platane denken, an nackte Zweige vor den Fenstern des Wohnzimmers, die sich mit Knospen und Blättern bedecken werden, wenn jener Frühling einsetzt, den sie nicht mehr erleben wird, denn ihre Zeit unter psychisch gesunden Menschen ist abgelaufen.
Kapitel 20
»Anna, was machst du? Wir kommen zu spät!«
Unter dem heißen Duschstrahl konnte Anna Laurent kaum verstehen. Sie starrte auf die Tropfen, die auf ihren Füßen zerplatzten, und genoss das Wasser, das auf ihren Nacken prallte. Hin und wieder hielt sie ihr Gesicht unter das warme Nass. Ihr Körper war jetzt weich und entspannt, und während ihn das fließende Wasser überströmte, träumte sie von einem vollkommen fügsamen Leib.
Dank des
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