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Das Imperium der Woelfe

Das Imperium der Woelfe

Titel: Das Imperium der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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triefend nassen Haarsträhnen in die Augen.
    Sie vermied es, in den Hof hinunterzublicken, der zwanzig Meter unter ihr in der Tiefe lag. Stattdessen blickte sie geradeaus und konzentrierte sich auf die Mauer des gegenüberliegenden Gebäudes.
    »Mach auf!«
    Sie hörte, wie die Badezimmertür aufbrach. Eine Sekunde später erschien Laurents Kopf - seine Züge verzerrt, seine Augen blutunterlaufen - in dem Fenster, durch das sie soeben geflohen war.
    In diesem Augenblick erreichte sie den Balkon, legte ein Bein auf die Brüstung, schwang sich hinüber und landete auf der anderen Seite. Der schwarze Kimono, den sie über ihr Kleid gezogen hatte, krachte in den Nähten.
    »Anna, komm zurück!«
    Zwischen den Pfeilern der Balustrade sah sie, wie ihr Mann nach ihr Ausschau hielt. Sie stand wieder auf, passierte den Balkon, kletterte über die nächste Brüstung und drängte sich dicht an die Mauer, um das folgende Gesims zu erreichen.
    Von diesem Moment an herrschte großes Durcheinander.
    Sie sah in Laurents Händen ein Funkgerät, sah, wie er mit panikartiger Stimme hineinbrüllte: »An alle Einsatzkräfte. Sie ist auf der Flucht, ich wiederhole, sie ist dabei abzuhauen!«
    Wenige Sekunden später erschienen zwei Männer in Zivil und mit roten Polizeiarmbinden im Hof und zielten mit Gewehren auf sie.
    Im selben Moment sprang im Gebäude gegenüber, dritte Etage, ein Fenster auf. Ein Mann tauchte auf, beide Hände nach vorne ausgestreckt, eine chromblitzende Pistole umfassend. Er blickte mehrfach um sich, bis er sie gefunden hatte, das perfekte Ziel im Visier.
    Erneut drangen Laufschritte vom Hof herauf, weitere drei Männer hatten sich den anderen angeschlossen, unter ihnen auch Nicolas, der Chauffeur. Sie hielten alle die gleichen Maschinengewehre mit gekrümmtem Magazin.
    Anna schloss die Augen und streckte die Arme nach rechts und links, um das Gleichgewicht zu halten. Sie war innerlich ruhig, still, kein Gedanke machte sich breit, stattdessen erfasste sie eine seltsame Heiterkeit.
    Sie tastete sich weiter voran, die Lider fest geschlossen, die Arme ausgebreitet, als sie Laurent brüllen hörte: »Nicht schießen! Mein Gott, wir brauchen sie lebend!«
    Als sie die Augen wieder öffnete, konnte sie mit einer unerklärlichen Entrücktheit die perfekte Symmetrie des Balletts beobachten, das sie umgab: rechts Laurent, sorgfältig gekämmt, in sein Gerät brüllend, den Zeigefinger auf sie gerichtet. Gegenüber der regungslose Schütze, die Fäuste um die Pistole gekrallt - jetzt sah sie das Mikrofon vor seinem Mund. Unten die fünf Männer in Schussposition, das Gesicht nach oben, in ihrer Bewegung erstarrt.
    Und sie stand inmitten dieser Armee: eine Form aus Kalk, in Schwarz gehüllt, in der Körperhaltung Jesu Christi.
    Sie spürte die Rundung eines Regenrohres, beugte sich leicht vor, ließ die Hand auf die andere Seite wandern und glitt über das Hindernis. Ein paar Meter weiter hatte sie ein Fenster erreicht, das - sie rief sich die Anordnung des Gebäudes in Erinnerung - zum Dienstboten-Treppenhaus gehören musste.
    Sie hob den Ellbogen und stieß ihn heftig nach hinten. Die Scheibe blieb unversehrt. Sie nahm erneut Schwung, hieb wieder mit aller Gewalt dagegen, und diesmal zerbrach die Scheibe. Sie stieß sich mit den Füßen ab und ließ sich nach hinten fallen.
    Der Fensterflügel gab dem Druck nach, und während sie in den Treppenflur kippte, schrie Laurent: »Nicht schießen!«
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie auf hartem Boden aufkam. Eine schwarze Flamme durchdrang ihren Körper, sie spürte heftige Stöße, als Rücken, Arme, Fersen auf harte Gräten schlugen. In ihren Gliedern explodierte der Schmerz in tausend Klängen, die Beine lagen oberhalb des Kopfes, das Kinn schnappte auf den Brustkorb und nahm ihr den Atem.
    Dann folgte das Nichts, und als Anna wieder zu sich kam, war da zunächst der Geschmack von Staub und Blut. Sie lag zusammengekrümmt am Fuß einer Treppe, hob den Kopf und erblickte eine graue Decke, eine Kugel von gelbem Licht. Sie fand sich am erhofften Ort, auf der Dienstbotentreppe.
    Sie griff nach dem Geländer und zog sich hoch. Offenbar war nichts gebrochen. Nur am rechten Arm ein Schnitt - eine Glasscherbe hatte den Stoff zertrennt und war nahe der Schulter eingedrungen. Auch am Zahnfleisch spürte sie eine Verletzung, ihr Mund war voll Blut, doch die Zähne schienen unversehrt.
    Langsam zog sie die Glasscherbe heraus, riss einen Streifen Stoff vom Saum des Kimonos und machte sich

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