Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Implantat: Roman (German Edition)

Das Implantat: Roman (German Edition)

Titel: Das Implantat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel H. Wilson
Vom Netzwerk:
Bordstein baumeln.
    »Leg die Finger darum, aber berühr es nicht«, weist er mich an. »Wenn ich loslasse, schließe schnell die Hand.«
    »Okay.«
    »Schafficker«, sagt Perry und lässt im gleichen Moment das Lineal los. Trotz des verbalen Ablenkungsmanövers schließt sich meine Hand augenblicklich.
    Der kleine Mann packt mich am Handgelenk.
    »Halt, beweg dich nicht. Bleib genau so.« Er beugt sich vor und betrachtet aufmerksam das Lineal. »Du hast es bei null komma sieben Zentimetern aufgefangen«, stellt er fest. »Die übliche Normfallbeschleunigung in Ansatz gebracht, hat deine Reaktionszeit also sieben Millisekunden betragen …«
    Perry sieht mich an und reibt sich gierig die Hände.
    »In der Tat, sie haben dich wirklich ganz viel geheilt.«
    Perry wirft einen Blick auf meine Wartungsbuchse und schaut sich dann auf der leeren Straße um. »Ich zweifle nicht im Geringsten an deiner Aufrichtigkeit, junger Herr. Nur die Aufgewecktesten von uns halten sich noch unbehelligt in diesem Viertel auf. Die anderen sind längst zusammengetrieben und abtransportiert worden.«
    »Abtransportiert?«
    »In der Tat, Sir. Wie kann dir diese wichtige Tatsache entgangen sein …?«
    »Ich war im Gefängnis.«
    Perry wartet darauf, dass ich mich weiter dazu äußere. Was ich nicht tue.
    »Das erklärt es natürlich«, meint er schließlich.
    »Wohin werden die Amps gebracht?«
    »Nun, unter die Brücke, Sir.«
    »Unter welche Brücke?«
    »Die Brücke ist der gesegnete Ort, an dem wir einst in Frieden lebten – bevor wir von der verbotenen Frucht probiert haben. Jene, die unter der Brücke wohnten, haben sich in alle Winde zerstreut, das ist wahr. Haben sich zu den Ufern der Normalität aufgemacht. Betört von der lockenden Aussicht auf bezahlte Arbeit.«
    Perry setzt kurz eine verdrießliche Miene auf und fährt dann fort: »In letzter Zeit ist es jedoch zu einem großen Exodus aus der Welt der Mittelmäßigkeit gekommen. Auf Befehl der Regierung sind viele frühere Bewohner an ihren Ursprungsort zurückkehrt. Und nicht nur diese: Aus dem ganzen Land strömen sie in die zentrale Auffangstelle. Mit dem Zug, mit dem Flugzeug, zu Pferde. Die Amps, werter Herr, sind wieder unter die Brücke zurückgekommen.«
    Lucy und Nick.
    »Meinst du die Sicherheitszone von West-Pittsburgh?«, frage ich. »Kannst du mich dorthin führen, Perry?«
    »Eine gute Idee, Sir«, antwortet er. Dann lächelt der kleine Mann mich mit einem erwartungsvollen Funkeln in den Augen an. »Du wirst dort auf recht eigentümliche Gestalten treffen. Manchen wurden nämlich Implantate eingesetzt, bevor die Technologie ganz ausgereift war. Diese aussätzigen Amps sind wild und
bösartig.
Um ehrlich zu sein, lebt man unter der Brücke ziemlich gefährlich, Sir.«
    Während die Sonne untergeht, führt Perry mich die vergessenen Schleichwege des Viertels entlang, durch schmale Gassen und an schwitzenden Betonmauern vorbei. Über verwilderte Grundstücke, auf denen Gras und Müll unentwirrbar miteinander verwachsen sind. An endlosen, von Rost zerfressenen Gleisen vorbei.
    Wir machen kurz auf dem Hinterhof eines großen Supermarkts halt. Mit routinierter Geste greift Perry in einen Müllcontainer und zieht ein Stück vertrocknetes Brot heraus. Dann setzt er seinen Vortrag fort.
    »Wir können uns glücklich schätzen, Sir. Oh, ja. Wir können uns glücklich schätzen, in dieser Zeit des rasenden Fortschritts zu leben. In der die Menschen nicht nur danach streben können, dass sie gesund sind und es ihnen gutgeht, sondern danach, dass es ihnen noch
besser
als gutgeht. Wenn man darüber nachdenkt, Owen, nun, dann geht einem schnell auf, dass wir beide zu den technischen Wundern des modernen Zeitalters gehören.«
     
    Schließlich erreichen wir die halb zerfallene Washington Crossing Bridge. In der Mischung aus Flüchtlingslager und Flohmarkt, die sich in ihrem Schatten befindet, tummeln sich mehrere hundert Menschen. Der fleckige Beton ist mit Decken, Schlafsäcken und zum Bersten gefüllten Plastiktüten übersät. Gedämpftes Murmeln geht von dem Lager aus, leere Plastikflaschen wehen klappernd über den Beton, und ab und zu rauscht oben ein Auto über die Brücke.
    Perry legt mir den Arm um die Schultern und zeigt auf die seltsame Kolonie. »Willkommen unter der Brücke«, sagt er.
    Da ich mich seit Wochen nicht rasiert habe, bedeckt ein zotteliger Vollbart meine Wangen, trotzdem halte ich den Kopf gesenkt. Ist mir zur Gewohnheit geworden. Ich bitte Perry,

Weitere Kostenlose Bücher