Das Implantat: Roman (German Edition)
wurden isoliert wie ein Virus: Man hat sie aus dem Herzen der Stadt geschnitten und in eine Petrischale geworfen, damit sie den Rest der Bevölkerung nicht anstecken. Der vorbeugende Eingriff hat dieses blutende Loch mitten im Viertel zurückgelassen. Ohne ihre Bewohner verlieren die Häuser und Wohnblocks ihren Sinn und fangen an zu verwahrlosen.
Der Obdachlose zeigt mit einem seiner schmutzigen Stummelfinger auf meine Schläfe und fährt mit seiner Tirade fort: »Ich habe gefragt, womit du
ausgestattet
bist, Kumpel? Was für ein fauler Zauber schlummert unter deiner Schädeldecke? Auf welcher
Frequenz
sendest du?«
Er kommt näher heran und zischt: »Bist du für mich oder gegen mich?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen«, stammle ich und hebe abwehrend die Hände. Der quirlige, blauäugige Kerl macht einen kleinen Satz nach hinten.
Mir geht auf, dass der Obdachlose ein Amp ist. Wie eine bösartige Wucherung verunstaltet eine Buchse seine Schläfe. Plötzlich steht er wieder ganz nah vor mir und redet wie von Sinnen auf mich ein. Seine Augen sind zu hell – von einem so hellen, klaren Blau, dass sie sich überdeutlich vom Rest des schmutzigen Gesichts abheben.
»Für mich? Oder
gegen mich?
«, kreischt er.
»Für mich oder gegen mich!«
Seine Stimme ist laut und schrill, und er bewegt sich zu schnell, aber er ist ein Amp. Wie ich. Also weiche ich ein Stück zurück und strecke die Hand aus. »Ich bin Owen«, sage ich.
Mit einem Mal breitet sich ein Grinsen auf dem Gesicht des Mannes aus. Er stürzt nach vorne und schüttelt die ausgestreckte Hand ausgiebig mit beiden Händen. Hat ihm anscheinend lange niemand mehr angeboten.
»Peregrine«, erwidert er. »Meine Name lautet Peregrine, mein Freund. Aus Rücksicht auf die Faulheit der Idioten und die Dreistigkeit der Toren, von welchen diese Stadt geplagt wird wie von pesttragenden Ratten, habe ich mir den einfacheren Spitznamen Perry zugelegt.«
»Okay«, gebe ich zurück und löse mich sanft aus seinem Griff.
Perry sieht mich eindringlich an und fängt wieder an, in schnellen Wortsalven auf mich einzureden. Er hat offenbar einen ausgeprägten Hang zur gestelzten Ausdrucksweise. »Du wirst bemerkt haben, dass ich eine Spur geschwätzig bin, und korrekterweise annehmen, dass das auf das medizinische Implantat zurückzuführen ist, das in meiner staubigen alten Hirnrinde steckt. Ich liebe den Geschmack von Worten, werter Herr. Jeder
logos,
der über meine Lippen kommt, schmeckt für mich wie eine süße Köstlichkeit. Und ich fürchte, ich habe ziemlich was übrig für Süßkram.«
Er lächelt mich mit seinen schlechten Zähnen an.
»Ein Gentleman wie du wird verstehen, dass meine Neugier von jenem unverkennbaren Mal geweckt wird, welches deine Schläfe schmückt und dich als
Amp
ausweist, wie man uns zu nennen pflegt. Und selbst auf die Gefahr hin, stur oder unverschämt zu wirken, würde ich doch gerne zu meiner vorherigen Frage zurückkehren und von dir erfahren, von welcher Art die Gerätschaft ist, welche in deinem Hirn eingebettet ist.«
»Du willst wissen, was ich für ein Implantat trage?«, frage ich.
»Eingebettet«,
schnurrt er mit halb geschlossenen Augen. »Mmh, das Wort mag ich. Köst-lich.«
»Ähm, Perry?«
Er blinzelt ein paarmal rasch und öffnet dann wieder die Augen. »Ja, Sir?«
»Es ist gegen Epilepsie.«
»Ah, die Zuckungen. Ja, ein schlimmes Gebrechen. Aber du bist nicht allein, mein Freund. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat viele meiner Freunde geheilt. Schizos, Alkis und Borderliner. Hat sogar meine eigene Neigung zum geistigen Wirrwarr des Autismus behoben – welche mit einer gehörigen Prise Paranoia gewürzt war. Ja, Gott sei Dank hat sich der Steuerzahler mit Hilfe der modernen Wissenschaft der Leiden jener angenommen, die unter der Brücke schlafen.«
Als er das Echo seiner eigenen Stimme hört, zuckt Perry leicht zusammen. »Wie sehr haben sie dich geheilt?«, will er wissen.
»Wie sehr?«
»Na ja, sie können einen nur ein bisschen oder ganz viel heilen, oder?«
Ich muss an meinen Vater und Jim denken. An das Gespräch, das sie nach meinem Unfall wahrscheinlich über mich geführt haben. Dann erinnere ich mich an die leuchtenden Tanzschritte auf dem Boden, mit deren Hilfe ich dem Wärter ausgewichen bin.
»Sie haben mich ganz viel geheilt.«
Er mustert mich kurz und zieht dann ein abgenutztes Lineal unter seinem schmutzigen Mantel hervor. Lässt es senkrecht über dem aufgesprungenen
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