Das Implantat: Roman (German Edition)
nicht so laut zu sein, und schaue mich um.
In Tarnanzüge gekleidete Männer der Nationalgarde haben einen Kreis um das Lager gebildet. Die Gesichter vom Visier ihrer glänzenden neuen Schutzhelme verdeckt, lassen sie stumm ihre Blicke schweifen. Vor der Brust haben sie schwarze Sturmgewehre hängen, an ihren Gürteln lange Schlagstöcke. Aufgereiht wie Statuen stehen sie da und sehen nicht durch uns hindurch, sondern an uns vorbei.
Auf der anderen Seite der Straße tummeln sich mehrere hundert Pure-Pride-Aktivisten und beobachten das Lager unter der Brücke.
Hinter der Brücke steht eine alte, bestimmt hundert Meter lange Lagerhalle auf einer weitläufigen, betonierten Fläche. Das Gebäude ist in weitem Umkreis mit Stacheldraht gesichert. Hinter dem Stacheldraht wimmelt es von Männern, Frauen und Kindern. Einige der Kinder haben mit vier Pappstücken ein rautenförmiges Baseballfeld markiert und machen das Beste aus ihrer Situation. Die schweren Türen des Lagerhauses stehen weit offen. Ein tausendköpfiger Strom von Menschen rückt Stück für Stück voran, um Einlass zu finden, gleichzeitig bewegt sich ein ebensolcher Strom wieder hinaus.
Das muss die Sicherheitszone sein. Und dort, wo ich stehe, befindet sich die Empfangsstelle. Die Amps kommen freiwillig hierher, um dem Zorn der Pure-Pride-Eiferer zu entgehen.
Die lange Warteschlange bietet ein Bild des Elends. Unter ihren Schlafsäcken, Rucksäcken und Kleidertüten fast zusammenbrechende Männer und Frauen, die erschöpft nach ihren Koffern und Trolleys greifen, wenn die Schlange sich mal wieder ein, zwei Schritte vorwärtsbewegt.
Die Familien werden an einem vor dem Eingangstor errichteten Wachhaus in Empfang genommen. Unmittelbar hinter Empfangsstelle und Zaun reiht sich eine bunte Mischung aus Sperrholzbuden aneinander. Hier kaufen die Neuankömmlinge Nahrungsmittel oder tauschen ihren Besitz gegen Erste-Hilfe-Beutel und Decken ein.
Auch auf dieser Seite des Zauns wird bereits heftig Handel getrieben. Dutzende Kinder laufen umher. Manche bleiben in der Nähe ihrer Eltern. Andere ziehen mit Stöcken bewaffnet und von streunenden Hunden begleitet in kleinen Gruppen durch die Gegend. Die meisten Kinder tragen saubere Kleidung und neu aussehende Schuhe. Und jetzt fällt mir auch auf, dass es sich bei den Hunden gar nicht um Streuner handelt. Ein Golden Retriever tapst an mir vorbei und schlägt mit seinem wedelnden Schwanz gegen meine Beine.
Während ich mich umsehe, tritt mein Begleiter nervös von einem Fuß auf den anderen.
»Wie lange geht das schon so, Perry?«, erkundige ich mich.
»Der Aufruf dazu ist vor etwa drei Wochen erfolgt. Nach dem Angriff. Vor etwas mehr als einer Woche sind dann die ersten Züge mit Amps hier angekommen.«
»Gibt es noch weitere Lager wie dieses?«
»Mindestens ein halbes Dutzend. Es heißt, im Central Park würden über zwanzigtausend Menschen hausen. Auch die Speedway-Arena in Daytona wurde komplett abgesperrt. Hier in dem Lager halten sich vermutlich nur so um die zehntausend Leute auf. Das hier vorne sind Nachzügler«, erklärt Perry. »Wollten sich nicht einpferchen lassen und haben auf die harte Tour gelernt, was das Beste für sie ist.«
»Wie lange werden die Leute hierbehalten?«, frage ich Perry.
»Na ja, so lange, wie sie draußen nicht sicher sind«, erwidert er und nickt zur Straße hinüber, wo die Pure-Pride-Eiferer sich aufhalten. »Und nun komm mit mir. Ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Tief atme ich die muffige Luft ein und spüre in meiner Brust das Rumpeln des Verkehrs über mir. Links von mir steht ein Mann auf unsicheren Beinen pinkelnd an einer Wand und singt dabei fröhlich vor sich hin. Die Soldaten sehen ihm ungerührt zu. Der Stacheldraht glänzt im Licht der untergehenden Sonne.
Lyles Plan scheint nicht aufzugehen. Die Amps kämpfen nicht. Sie gehorchen.
»Komm jetzt«, weist Perry mich an. Verzweifelt blickt er zur Wachstation hinüber. Dann verfinstert sich seine Miene. Er schaut über meine rechte Schulter hinweg und spricht, ohne mich anzusehen. »Komm, werter Herr, wir wollen uns davonmachen«, sagt er. »Je schneller, umso besser.«
Perry zeigt mit dem Daumen hinter mich, und mir fällt dabei auf, dass seine Hände zittern. Als ich hinter mich sehe, entdecke ich eine seltsame Gestalt mit unförmigem Kopf und verwachsenem Oberkörper, die auf uns zukommt und sich auf schwarzen Stelzen fortzubewegen scheint. Ausgemergelte schwarze Arme stehen drohend von ihrem
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