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Das Implantat: Roman (German Edition)

Das Implantat: Roman (German Edition)

Titel: Das Implantat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel H. Wilson
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nicht mit mir. Ich stelle ihm eine sehr wichtige Frage:
Wie bleibe ich am Leben? Wie kann ich aus dieser Situation lebendig herauskommen? Bitte.
    Doch das Orakel spricht nicht.
    Stattdessen malt es die Antwort wie eine Folge von Tanzschritten vor mir auf den Fußboden. Bläuliche Fußabdrücke treten leuchtend auf den Fliesen hervor und gehen flackernd verschiedene Konfigurationen durch. Dann erhebt sich eine kleine Gebirgskette aus orangeroten Bergen vom Boden – eine mattrote Flut, von der sich in grellem Orange die nassen Fußabdrücke des Wärters abheben. Ich habe ein Art topographische Karte vor mir, die mir die nassen Bereiche auf den Fliesen anzeigt. An den Bergen lässt sich ablesen, an welchen Stellen der Boden besonders rutschig ist.
    Auch wenn ich blinzle, verschwindet das leuchtende Schaubild nicht. Es stammt von mir. Nur ich kann es sehen. Netzhaut, Innenohr, Nervenbahnen, Befehlsebene – alles ist miteinander vernetzt. Ich befehle mir selbst, was ich tun soll. Oder die Technologie befiehlt es mir.
Wie ist das möglich?
    Ach, schon gut. Mir ist egal, wie es funktioniert. Ich will bloß leben.
    »Hast du Dreck in den Ohren?«, brüllt der Kleine.
    Ich betrachte die große Metallöse, die in der Mitte des Tisches angebracht ist. Von dort läuft die Kette zu meinen Handschellen und zurück. Nun erscheint plötzlich ein bläulicher Kreis und zeigt an, wie viel Spielraum mir die Kette lässt.
    Kann man wirklich jemandem mit seinem Hirn weh tun?
    Ohne nachzudenken, befolge ich die Tanzschritte, die auf dem Boden eingeblendet werden. Ein schneller Schritt nach vorne. Der Kleine sieht mich überrascht an. Ich drehe mich langsam nach rechts. Ziehe meinen linken Fuß hinterher. Gebe dem kleineren Wärter Zeit, auf die Finte zu reagieren, gebe ihm Zeit, sich nach vorne zu lehnen und mit seinem Schlagstock auszuholen. In dem Moment trete ich mit meinem linken Fuß auf und springe um den Tisch herum. Die Springerstiefel meines Gegners quietschen laut, als er auf den nassen Fliesen ausrutscht und stürzt.
    Noch während der Kleine fällt, strecke ich die Arme aus und führe den linken Ellbogen über seinen Kopf hinweg. Ich lande mit dem Hintern auf dem kalten Metalltisch und ziehe die Arme zum Kinn, so dass ich dem Kleinen mit der Kette die Kehle zudrücke.
    »Urgh«, macht der Kleine und fuchtelt ohnmächtig mit seinem Schlagstock in der Luft herum.
    »Zurück«, sage ich zu dem Großen. »Bleib auf Abstand, dann lasse ich ihn Luft holen.«
    Der Schlagstock des Kleinen fällt zu Boden.
    Der Große zögert und betrachtet neugierig das verzerrte Gesicht seines Kollegen. Ich atme schwer, doch der Kleine gibt kein Geräusch von sich. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, mit geschlossenen Augen rot anzulaufen. Die Sekunden kommen mir wie Minuten vor. Und auf meinen Gefangenen hier, dessen Kopf ich im Schwitzkasten habe, wirken sie mit Sicherheit wie Stunden.
    »In Ordnung«, erwidert der Große und streckt beschwichtigend seine schwarz behandschuhten Hände aus. »Ganz ruhig, mein Freund.«
    »Ich kann ihm jederzeit den Kehlkopf zerquetschen«, sage ich mit – wie ich hoffe – entschlossener Miene.
    Dann lasse ich die Kette etwas locker. Nur gerade so, dass der Kleine kurz Luft holen kann.
    »Mach meine Handschellen los«, weise ich ihn an.
    Der Atem des kleineren Wärters hört sich an, als würden Kieselsteine durch einen Strohhalm gesaugt. Benommen tastet er nach seinem Schlüsselbund. Ich behalte die ganze Zeit die Kette um seinen Hals gewickelt – und den größeren Wärter fest im Blick.
    Klick.
    Meine Handschellen sind offen. Ich lasse die Kette los, die in Schlaufen auf den Tisch fällt. Eine halbe Sekunde lang passiert nichts. Dann zieht der Kleine den Kopf nach oben, und der Große stürzt nach vorne.
    So schnell, dass mein Hirn es kaum registriert, erscheinen wieder die blauen Linien auf dem Boden. Leuchtende Leitplanken, die mir den Weg zum Überleben weisen.
Immer schön den Schildern folgen, Gray, dann hast du vielleicht eine Chance.
    Vom Brustkorb des Kleinen gehen zwei aus winzigen Pfeilen bestehende Vektorlinien aus. Während er mit dem Rücken zu mir vom Boden aufsteht, greife ich nach unten und löse rasch die Schnallen seiner Schutzweste. Anschließend zerre ich die Weste nach oben und knalle ihm das Rückenteil auf den Kopf. Während er unter dem Gewicht der schweren Keramikpanzerung nach vorne stolpert, reiße ich ihm die Handschellen vom Gürtel.
    Der Große stürzt auf mich zu und

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