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Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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fliegen, denn du willst sie ja erobern und was werden in ihr, zum Beispiel Chefredakteur. So schwirre denn schön ums Haus, dreimal, und hab dabei ein Auge auf das, was aus den Luken lugt, das hält die Festung besetzt, und wenn du sie nehmen willst, mußt du das alles besiegen, zum Beispiel könnte schon der Bildredakteur Gabelbach, der immer aus einem Fenster an der Nordfront hängt, ein Hektor sein und es auf dich abgesehen haben; mustere ihn trotz der unmäßigen Geschwindigkeit, mit der du unseren Grundbesitz umrundest, eingehend, und wirf auch einen Blick bei aller Gedankenschnelle, die dich treibt, auf den dicken Menschenam Tor, und laß dich nicht von seinem Pförtneramt täuschen: Er hat viel Sagen hier und könnte, wollte er, dich aufhalten mit jähem Pfeil und zum Beispiel dein Paris sein, obwohl seine Figur das nicht vermuten läßt; und wenn du bei sausender Rundfahrt einer wüsten Frauensperson begegnest, mein lieber Achilles, dann setze nicht auf deine Schönheit und Tapferkeit, denn von ihr droht wahre Gefahr, weil man von ihr nicht weiß, ob sie einen liebt oder zermalmen will, und die könnte dir zum Beispiel Penthesilea sein, von der auch Sage und schöne Literatur nur Konfuses melden: Hat sie den Achilles gemeuchelt oder jener sie, es ist ungeklärt. Aber nun rausche los mit der zugespitztesten aller Beschleunigungen, fahre ab mit dem Tempo des Boten der Neuen Berliner Rundschau, dreimal um Troja, marsch!«
    Ein Irrer! hatte David gedacht und sich auf den Weg gemacht, aber da dies im Oktober fünfundvierzig war und Irresein nicht ganz so selten anzutreffen wie ein Paar neuer Schuhe und da er in die Zeitung wollte um fast jeden Preis, trabte er immerhin um das Zeitungsgelände, und mehr als Traben war auch gar nicht zu leisten, denn jenseits des Zauns um die Rundschau sah es noch um einiges wüster aus als im Tiergarten gleich nebenan.
    Und die letzten hundert Meter der letzten Umkreisung lief und sprang er sogar, weil er dem Botenmeister Ratt ein wenig Schweiß vorzuweisen gedachte, denn Schweiß von Untergebenen, das hatte er in seinen Jahren gelernt, war etwas irren Vorgesetzten im allgemeinen der überzeugendste Beleg einer verläßlichen Ergebenheit. So kam er keuchend vor des Botenmeisters vergoldeten Stuhl, aber auf dem saß der Botenmeister Ratt nicht mehr; auf dem Stuhl saß eine Frau, ein plumpes rundes Ding von Frau, saß da wie ein Muttchen, nur nicht so ordentlich gekleidet, und war wohl des Botenmeisters Frau.
    Sie hatte – zum Beispiel, wie der sagen würde – blaue Strümpfe an, und das war in Davids Augen eine Neuheit, aber es erinnerte ihn an etwas, wovon er gelesen, und es hatte im Zusammenhang mit Frauen mit Strenge zu tun oderGelehrsamkeit oder etwas Unweiblichem jedenfalls, aber bei dieser vermutlichen Frau Ratt war das wohl nur Zufall und auch nicht weiter verwunderlich, denn man schrieb eine Zeit, in der man sich nicht nach Vorschriften kleidete, sondern mit dem, was man hatte, und man hatte nicht viel, und manchmal geriet man durch Zufall an ein neues Stück, und wenn es nur bedeckte und warmhielt, dann fragte man nicht lang nach Kleidsamkeit und irgendwelchen Symbolwerten und zog es an, zum Beispiel ein Paar blauer Strümpfe.
    Nein, von der Strenge, Gelehrsamkeit oder Unweiblichem waren keine Zeichen an der mutmaßlichen Frau des Botenmeisters, und an dem waren in dem Augenblick, als David mit feuchter Stirn vor seinen Stuhl treten wollte, keine Zeichen mehr von der Strenge des Ausbilders oder von Gelehrsamkeit, Troja betreffend zum Beispiel, und er saß nicht mehr auf diesem Stuhl, er saß auf Davids Schemel, und David konnte sehen, wo er blieb.
    Er blieb an der Tür stehen, sagte guten Tag und erwartete von Ratt einen Bescheid, der die drei Geländerunden und die dafür verbrauchte Zeit beträfe.
    Aber statt dessen sprach sein Muttchen: »Komm einmal her und sag mir guten Tag!«
    Er sagte es ein zweites Mal, ärgerte sich leise über das Du, denn so alt war sie nicht, und so jung war er nicht, und er ließ es geschehen, daß sie seine Hand ergriff und sie mit jener ruckhaften Bewegung schüttelte, die er aus sowjetischen Filmen, den zweien, die er inzwischen gesehen hatte, kannte.
    »Wo kommst du her?« fragte sie.
    Er verzichtete mit Anstrengung auf die Antwort: »Aus Troja« und fragte zurück: »Jetzt?«
    »Jetzt kommst du von draußen, eilig«, sagte sie, »nein, ich erkundige mich nach deiner Herkunft: Arbeiterklasse, Kleinbürgertum, bourgeois oder bäuerlich

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