Theo Boone und das verschwundene Mädchen: Band 2 (German Edition)
Eins
Die Ent f . . uührung von April Finnemore ereignete sich mitten in der Nacht, irgendwann zwischen 21. 15 Uhr , als sie zum letzten Mal mit Theo Boone sprach, und 3.30 Uhr, als ihre Mutter das Zimmer betrat und feststellte, dass April verschwunden war. Offenbar waren die Entführer in Eile gewesen, denn April hatte ihre persönlichen Dinge zurücklassen müssen. Ihr Laptop war noch da. Ihr Zimmer wirkte halbwegs aufgeräumt, aber es lagen verschiedene Kleidungsstücke herum, sodass sich kaum feststellen ließ, ob sie überhaupt Gelegenheit zum Packen gehabt hatte. Nach Ansicht der Polizei eher nicht. Ihre Zahnbürste lag noch am Waschbecken. Der Rucksack stand neben dem Bett. Da der Schlafanzug auf dem Boden lag, hatte sie sich wohl zumindest anziehen dürfen. Ihre Mutter heulte und tobte abwechselnd, aber die Polizei brachte zumindest aus ihr heraus, dass Aprils blauweißer Lieblingspullover nicht mehr im Schrank lag. Und ihre Lieblingsturnschuhe waren auch verschwunden.
Die Polizei kam bald zu dem Schluss, dass das Mädchen nicht einfach weggelaufen war. Zum einen war sich Aprils Mutter ganz sicher, dass es dafür keinen Grund gab, zum anderen hätte sie dann wohl richtig gepackt.
Eine kurze Inspektion des Hauses ergab keine Hinweise auf einen Einbruch. Alle Fenster waren geschlossen, die drei Türen im Erdgeschoss versperrt. Aprils Entführer hatte die Tür hinter sich zugezogen und sogar abgeschlossen. Nachdem die Beamten die Örtlichkeiten eingehend begutachtet hatten, hielten sie eine Befragung von Theo Boone für angebracht. Immerhin war er Aprils bester Freund, und die beiden telefonierten oder chatteten praktisch jeden Abend vor dem Einschlafen.
Die Digitaluhr neben dem Bett der Eltern zeigte 4.33 Uhr, als das Telefon klingelte. Woods Boone, der den leichteren Schlaf hatte, nahm ab, während sich Marcella Boone auf die andere Seite drehte und überlegte, wer um diese Zeit wohl anrufen mochte.
Als Mr. Boone »Geht in Ordnung, Officer« sagte, wurde sie endgültig wach und krabbelte aus dem Bett. Obwohl sie nur die eine Hälfte des Telefonats mitbekam, war ihr schnell klar, dass es um April Finnemore ging.
»Selbstverständlich«, sagte ihr Mann gerade. »Wir können in einer Viertelstunde da sein.« Er legte auf.
»Was ist los, Woods?«, fragte sie.
»Offenbar ist April entführt worden, und die Polizei möchte mit Theo sprechen.«
»Der war es bestimmt nicht.«
»Falls er nicht oben in seinem Zimmer ist, vielleicht doch.«
Aber Theo war in seinem Zimmer und schlief tief und fest. Vom Klingeln des Telefons hatte er offenbar nichts mitbekommen. Während er hastig in Jeans und Sweatshirt schlüpfte, brachte er seine Eltern auf den aktuellen Stand. Er hatte April am Abend von seinem Handy aus angerufen und ein paar Minuten mit ihr geredet, wie üblich.
Als sie in der frühmorgendlichen Dunkelheit durch Strattenburg fuhren, ging Theo der Gedanke an April und ihr trostloses Familienleben nicht aus dem Kopf. Ihre Eltern waren heillos zerstritten, Bruder und Schwester– beide schwer geschädigt– hatten das Weite gesucht, sobald sie alt genug waren. April war das jüngste von drei Kindern und Tochter von zwei Menschen, die nie eine Familie hätten haben dürfen. Ihre Eltern waren irre, das sagte April selbst, und Theo konnte ihr da nur zustimmen. Beide waren bereits wegen Drogenbesitzes mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Aprils Mutter hielt auf einem kleinen Bauernhof außerhalb der Stadt Ziegen und stellte Käse her, den Theo ungenießbar fand. Um ihn zu verkaufen, fuhr sie mit einem gelb lackierten alten Leichenwagen in der Stadt herum, mit einem zahmen Klammeraffen als Beifahrer. Ihr Vater war ein alternder Hippie, der gemeinsam mit anderen Versagern, die aus den Achtzigern übrig geblieben waren, in einer schlechten Garagenband spielte. Er hatte keine feste Arbeit und war oft wochenlang unterwegs. Die Finnemores standen immer kurz vor der Trennung, Scheidung war ein ständiges Thema.
April vertraute Theo und erzählte ihm Dinge, von denen niemand sonst erfahren durfte.
Die Finnemores wohnten in einem gemieteten Haus, das April hasste, weil ihre Eltern es verkommen ließen. Es stand neben anderen Nachkriegsbauten, die bessere Tage gesehen hatten, in einer tristen Straße eines älteren Viertels von Strattenburg. Theo war nur einmal vor zwei Jahren dort gewesen, zu einer völlig missglückten Geburtstagsfeier, die Aprils Mutter improvisiert hatte. Die meisten der eingeladenen Kinder kamen
Weitere Kostenlose Bücher