Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Impressum

Das Impressum

Titel: Das Impressum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
wenn du hier redest wie Lenin und herumspringst dabei wie der Turnvater Jahn, verehrteste, wirklich verehrte Chefin – von mir heute keinen Pieps von Pausengängen durch den Tiergarten und nicht den heisersten von einer, die lang ist und Carola heißt und ein Karnickel so im Arm hält, daß man sich fragt, warum man kein Karnickel ist, denn, geehrte Penthesilea, David hat da was für den Feierabend, nämlich Absichten, und zwar dreihundertsiebenundachtzig Prozent!
    Neunzehn Jahre lag das zurück, und das Haus Vaterland war längst abgerissen wie die Klondike-Buden am Potsdamer Platz, und dem Tiergarten sah keiner mehr an, daß er des zweiten Weltkrieges letztes europäisches Schlachtfeld gewesen war; dort legte niemand mehr Karnickelschlingen, man kaufte die Hasen wieder bei Rollenhagen, wenn man eine Daumenbreite links der Siegessäule wohnte, und man wohnte dort wieder und war nicht gut zu sprechen auf die Zeitungsleutezwei Kilometer östlich, denn die wohnten weltenfern in einer neuen Art Vaterland und hatten einem inzwischen mehr als eine Handvoll Schlingen gestohlen; die und die verdammten Henneckes und die siebenschwänzige Oberste Abteilung mit ihren Xaver Franks und die verhexten Weiber, die nicht Packerinnen hatten bleiben wollen, und die anderen, denen es nicht genug war, Witwe des berühmten Bertram Müntzer, Witwe des berühmtesten Schülers des berühmten Archipenko zu sein, und die anderen, die, statt in der Börde Rüben zu ziehen, fotografieren mußten und Bilder machen von Henneckes und Xaver Franks und Packerinnen und berühmten Witwen und von Leuten, die auf Rübenziehmaschinen durch die Börde kutschierten, Bilder, denen etwas Widerliches abzulesen war, harmlos Entwicklung geheißen und mit einem Teufelswort Sozialismus; diese Schwefelbande mit ihren Tischlern an Vorsitzplätzen und ihren Maurern auf Tribünen und ihren Straßenkehrerjungen hinter Schreibtischen und ihren Büchsenmachern womöglich in Ministersesseln, diese Satanskorona hatte seit der Bataille im Tiergarten ihr Teilstück Vaterland tiefer gemodelt, als der letzte eiserne Frühling des letzten großen Krieges den großen Park zwischen Brandenburger Tor und Schloß Bellevue zu wandeln vermocht hatte.
    Von wegen Bellevue! Von wegen Schöne Aussicht! Zwar ging der Blick vom Schlößchen ostwärts jetzt wieder für knappe zwei Kilometer über wieder grüne Sonntagsweide hin, aber in dieser Höhe dann, eine Daumenbreite links vom Kleinen Stern, brach sich dieser Blick an etwas Ungeheuerlichem kurz unterm Himmel, und es war dies die Fahne von denen da und wehte auf demselben Brandenburger Tor, das derselbe Carl Gotthard Langhans errichtet hatte etwa zu derselben Zeit wie das Schlößchen Bellevue, das einem gerade noch geblieben war. Von wegen Schöne Aussicht! Von wegen Bellevue!
    Dazu brauchte es einer anderen Perspektive, zum Beispiel einer, die sich ergab, wenn man in der Chefredaktion der Neuen Berliner Rundschau saß. Da war die Aussicht, selbst wenn sie rückwärts ging, schön, weil sie Sicht auf neunzehnJahre vorwärts war. Oft genug freilich war dies ein stuckerndes Vorwärts gewesen, eines, dem man diesen Namen manchmal verweigert hatte, und äußerst rar waren die weiten Sprünge gewesen, die Pfeilmomente, Geschoßsekunden, in denen man Meilen flog, so zum Exempel den Halbmeridian, der die Botenmeisterei der Neuen Berliner Rundschau von deren Befehlszentrale trennte.
    Der Botenmeister Ratt hatte sich geweigert, seinem neuen Bediensteten genaueren Bescheid über dessen künftige Arbeit zu geben. Er hatte sich in seinen vergoldeten Polsterstuhl gefläzt und dem Novizen David erklärt, die rechte Botentätigkeit gründe sich nicht auf Bezifferbares und Tabellarisches; um sie auszuüben, bedürfe es vielmehr der Eingebung und nicht selten der Erleuchtung, und da er David bereits mit dem Wichtigsten, mit dem Wissen um die Grundgeschwindigkeit eines Boten nämlich, ausgestattet habe, sei dessen Teil jetzt nur, abzuwarten, was die nächste Erleuchtung des Botenmeisters Ratt dem Boten David bringe.
    »Zum Beispiel nun«, sagte er und richtete sich unvermittelt auf, und auch David erhob sich vorsichtshalber von dem Schemel, der ihm angewiesen worden war, »hier weiß ich was für dich: Du wirst dreimal ums Gelände der Neuen Berliner Rundschau springen, und zwar wie Achilles, von dem du hoffentlich weißt: Das war ein Schneller. Und zwar wie Achilles, was bedeutet: Wie der um Troja rum, wirst du um die Neue Berliner Rundschau

Weitere Kostenlose Bücher