Das Insekt
sollen?«
»Absagen? Auf keinen Fall. Ich wollte dich unbedingt sehen. Ich muss mal wieder mit einem Menschen zusammen sein, der mit beiden Füßen auf dem Boden steht.«
»Tu ich das? Sollte mich freuen.«
»Ja, das tust du. Darum geht es ja eben. Du stehst auf dem Boden der Tatsachen. Das war schon immer so. Keine Ahnung, wie du das so hinkriegst.«
»Ich hab auch keine Ahnung.«
Ein chinesisch-stämmiger Amerikaner mit grüner Schürze kam an ihren Tisch und betete die Tageskarte herunter.
Susan unterbrach ihn: »Sangchi Ssam, was ist das?«
»Ein von der koreanischen Küche inspiriertes Gericht mit ziemlich scharf gewürztem Hackfleisch und Tofu auf Radicchio und Minze an einer frischen Chilisauce.«
Ein Königreich für einen Hamburger, dachte Bonnie. Aber diesmal hatte Susan das Restaurant ausgesucht.
Susan spülte ein Ibuprofen mit Evian hinunter. »Ich kann einfach kein Perrier mehr trinken«, sagte sie, »es erinnert mich einfach zu sehr an Clive.«
»Wie geht’s Clive eigentlich?«
»Ach, der ist immer noch mit diesem Teenager mit Plastiktitten zusammen. Den solltest du mal sehen. Oder vielleicht lieber doch nicht. Er hat sich das Haar blond färben lassen. Sieht aus wie ein Alien. Andererseits sah er ja schon immer so aus.«
»Duke geht’s gut«, sagte Bonnie ungefragt.
»Und Ray? Der muss doch inzwischen zwei Meter sein, oder? Will er immer noch Wrestler werden?«
Bonnie schüttelte lächelnd den Kopf. Plötzlich schien es ihr, als würde die Zeit an ihr vorbeifliegen.
»Und das Geschäft?«, fragte Susan mit einer Grimasse des Ekels.
»Gut. Läuft wirklich gut. Morgen haben wir einen natürlichen Tod und am Freitag zwei Selbstmorde. Das ist ein Ding, mit dem natürlichen. Der Typ ist in der Badewanne gestorben und sie haben ihn erst gefunden, als sein Körperfett die Wasserleitung verstopft hat. Das war nach beinahe acht Wochen.«
»Mein Gott, Bonnie. Ich verstehe nicht, wie du so was machen kannst. Wirklich nicht. Ich an deiner Stelle würde wahrscheinlich… würde wahrscheinlich kotzen. Und in Ohnmacht fallen. Erst kotzen und dann in Ohnmacht fallen.«
»Irgendjemand muss das ja erledigen. Die Polizei kümmert sich nicht darum, die Gerichtsmedizin auch nicht und die Stadt oder das County erst recht nicht. Das ist eine Dienstleistung, sonst nichts.«
»Ich darf nicht einmal daran denken«, sagte Susan.
»Allein schon der Geruch! Bei uns ist mal ein Koyote in der Garage verreckt.«
Bonnie zuckte nur mit den Achseln. »Ein bisschen Wick auf die Oberlippe, dann geht’s schon.«
Susan erschauderte.
Beim Essen klingelte Bonnies Mobiltelefon. Dean Willits war dran. Weil er gerade auf dem Ventura Freeway fuhr, war die Verbindung schlecht. »Ich habe mit Mrs Goodmans Versicherungsagenten gesprochen und der sagt, Sie sollen loslegen. Der Typ hat Frears angerufen und gemeint, er kennt Sie.«
»Na wunderbar, Mr Willits. Morgen Nachmittag sollte ich es einplanen können.«
»Frears hat die Schlüssel, okay?«
Bonnie wollte sich wieder ihrem Beefsteak widmen. Sie steckte ein Stück Fleisch und eine Gabel mit Mais in den Mund und begann zu kauen. Es schmeckte zäh und fettig, der Mais war nicht durch, sie musste plötzlich an die Betten der Kinder denken, die blutigen, zerfetzten Decken, und sie konnte einfach nicht schlucken, sondern spuckte, was sie im Mund hatte, in ihre Serviette.
»Was ist los«, fragte Susan. »Du bist plötzlich so – blass.«
»Ich musste nur an etwas denken, was ich heute Morgen gesehen habe. Aber du isst noch, ich werde also nichts davon erzählen.«
»Ich bitte dich, Susan. Dafür sind Freundinnen doch da. Du kannst mir alles erzählen.«
Also beschrieb Bonnie, was sie im Haus der Goodmans gesehen hatte, und Susan saß da und schaute und nickte.
»Das ist alles«, sagte Bonnie zum Schluss. »Ich weiß nicht, warum mich das mehr mitnimmt als andere Orte, die ich gesehen habe. Vielleicht ging es mir irgendwie wie Mrs Goodman. Die Kinder waren so… präsent, weißt du. Als ob man ihre Seelen noch spüren konnte.«
»Du konntest wirklich ihre Seelen spüren?«
»Ich weiß nicht… Irgendetwas habe ich gespürt. Als ob jemand da war, der eben eigentlich nicht da war, verstehst du? Es war beängstigend. Und bedrückend.«
»Du hast wirklich ihre Seelen gespürt. Das ist toll. Verstehst du, was das bedeutet?«
»Entschuldige, aber was meinst du?«
»Das ist Seelenwanderung. Und dass du das spüren kannst, zeigt nur, wie sensibel und empfänglich du bist.
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