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Das Intercom-Komplott

Das Intercom-Komplott

Titel: Das Intercom-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Ambler
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tat, als beachte man die anderen nicht, war auch die Gefahr nicht so groß, daß sie von einem Notiz nahmen und sich später daran erinnerten. Er schaute also auf die Wellen, bis der Dampfer am Steg anlegte.
    Die Schaufelräder wirbelten Schaum auf, die Leinen wurden festgemacht, die Laufplanke herübergelegt. Vier Passagiere verließen das Schiff, die Wartenden gingen an Bord.
    Jost, der ihnen als letzter gefolgt war, sah seinen Freund Brand fast sofort.
    Er saß im Salon an einem der Steuerbordfenster.
    Keiner der beiden Männer gab ein Zeichen des Erkennens. Jost kletterte die Kajütentreppe hinauf, schlug im Gehen seinen Pelzkragen hoch und nahm auf dem Oberdeck Platz.
    Sein Ausdruck gelangweilter Indifferenz seiner Umgebung gegenüber veränderte sich nicht, wenn es ihn auch mehrere Sekunden lang Mühe gekostet hatte. So sehr war ihm der Schrecken in die Glieder gefahren.
    Über ein halbes Jahr war nun vergangen, seit er Brand zum letztenmal gesehen hatte, und in dieser Zeit hatte sich das Aussehen seines Freundes bemerkenswert verändert. Brand war immer schon blaß gewesen; er hatte jene helle Gesichtsfarbe, die bei Skandinaviern häufig anzutreffen ist. Früher war es immer eine gesunde Blässe gewesen, man hatte stets gespürt, daß unter der Haut Blut war. Aber jetzt wirkte sein Gesicht verbissen und grau, und man hätte meinen können, daß alles Leben aus ihm verschwunden war. Mit einemmal sah Brand alt aus, so, als wäre er entweder sehr krank oder sehr verängstigt.
    Dieser letzte Gedanke bewirkte, daß Jost seine Muskeln für einen Augenblick anspannte. Aber sofort zwang er sich dazu, sich wieder zu entspannen. Brand hatte um dieses Zusammentreffen gebeten und gesagt, es sei dringend notwendig. Bei geheimen Begegnungen dieser Art mußte man immer ein gewisses Risiko auf sich nehmen. Wenn aus irgendeinem Grunde die Gefahr diesmal größer war als sonst, hätte Brand es ihn bestimmt wissen lassen. Daß er es nicht getan hatte, legte den Schluß nahe, daß sein schlechtes Aussehen gesundheitlich zu erklären war. Freilich war seiner Einladung auch darüber nichts zu entnehmen gewesen, aber die Methoden ihrer privaten Nachrichtenübermittlung waren alles andere als geeignet, persönliche Dinge mitzuteilen.
    Er erinnerte sich an jenen Abend, als sie ihr System auf der Terrasse eines Hotels in der Nähe von Straßburg ausgearbeitet hatten.
    Die französische Zehn-Francs-Note trägt auf ihrer Vorderseite vier Zifferngruppen: Emissionsdatum, Druckereischlüssel, eine aus fünf Ziffern bestehende Seriennummer in der linken unteren Ecke und eine weitere, zehn Ziffern umfassende Nummer in der Mitte des Geldscheins unter den Worten Banque de France . Insgesamt sind also auf jeder Note mindestens 25 Ziffern gedruckt, und es kommt nie vor, daß zwei sich vollkommen gleich sind. Es war Brands Idee gewesen, diese Geldscheine als einmal zu benutzende Chiffriertabellen zu benutzen; Jost hatte das System erarbeitet. Die Methode war recht simpel, aber sie funktionierte und war so sicher, wie solche Dinge nun einmal sein können: der Geldschein in einem Luftpost-Umschlag, die chiffrierte Nachricht in einem anderen. Der einzige Nachteil war, daß man nur kurze, einfache Texte übermitteln konnte.
    Die Nachricht, die Brand Jost hatte zukommen lassen, war kurz und einfach: TREFFEN DRINGEND ERFORDERLICH VORWAND MAILAND ANSCHLIESSEND BESUCH PATENKIND AM ZWANZIGSTEN ABENDDAMPFER VON EVIAN HINTER VEVEY RSVP .
    Nun ja, vielleicht war sie so einfach wieder nicht. Wahrscheinlich steckte doch viel Denkarbeit darin.
    Selbst in jenen Gegenden der Erde, in denen Reisen von einem Land in ein anderes unproblematisch und selbstverständlich sind, gibt es doch immer ein paar Leute – Staatspräsidenten, Könige, Ministerpräsidenten oder erkannte Verbrecher –, denen es nie möglich ist, so frei wie andere die Grenzen zu überschreiten, an einem Ort ihrer Wahl zu treffen, wen sie wollen, ohne daß jeder ihrer Schritte mehr als nur beiläufig beobachtet wird.
    Zu diesen benachteiligten Wenigen gehören auch die Direktoren von staatlichen Nachrichtendiensten.
    In ihren Heimatländern haben sie die Möglichkeit, jeden ihrer Schritte zu tarnen, und gemeinhin tun sie das auch. In dem Augenblick jedoch, in dem sie sich zu einer Auslandsreise entschließen, werden Fragen gestellt – und nicht nur von ihren Untergebenen und Vorgesetzten. Das Protokoll – und manchmal auch die Vorsicht – macht es erforderlich, daß sie ihre Kollegen in den

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