Das Intercom-Komplott
ersten Blick sah es so aus, als habe Latimer diese Seiten herausgenommen, um mich zu schützen. Wie aber sorgte er für seine eigene Sicherheit? Dadurch etwa, daß er verschwand und sein Buch nicht zu Ende schrieb? Offenbar nicht. Wie aber sonst?
Als geachteter Wissenschaftler und bekannter Schriftsteller war er wahrscheinlich in der Lage, Schnüfflern und Butzemännern eine lange Nase zu machen. Andererseits lebte er auf einer spanischen Insel, und Spanien gehört nicht der NATO an. Was er auch über den Käufer von Intercom gesagt hätte, man würde es glattweg abgestritten haben, und alle Spekulationen über den Nachrichtendienst, der die Transaktion finanziert hatte, wären kühl ignoriert worden. Wenn er sich hinsichtlich der kaufenden Firma nicht irrte – dann nämlich hätte er wegen Verleumdung belangt werden können –, hatte er aus dieser Richtung nicht viel zu befürchten.
Was freilich Jost und Brand betrifft, so lagen die Dinge anders. Wenn man sie identifizierte, würden sie in ihren Heimatländern als Verräter gelten, in dem Land – oder den Ländern –, in dem sie jetzt lebten, als politisch unerwünschte Personen. Die Konsequenzen wären also im besten Falle höchst unangenehm. Latimer und sein Buch stellten damit einen unerfreulichen Unsicherheitsfaktor dar. Latimer hatte durch nichts die Tatsache verschleiert, daß er in der Lage wäre, Jost zu identifizieren. Es war mehr als wahrscheinlich, daß er Josts – und wahrscheinlich auch Brands – Staatsangehörigkeit wußte. Zweifellos hatte er bei der Niederschrift seiner ersten ›Rekonstruktion des Geschehens‹ annehmen müssen, daß ihr keine verräterischen Hinweise zu entnehmen waren. Die meisten der beiläufigen Hinweise – so etwa die Behauptung, daß Jost aus einem Land kam, das an die Nordsee grenzte – hatte er vielleicht nur deshalb eingefügt, um auf die falsche Fährte zu locken. Gegenüber den Techniken professioneller Rechercheure allerdings mußten sich solche Tricks eines Geschichtenerzählers als hoffnungslos inadäquat erweisen. Die NATO hat nur fünfzehn Mitglieder, und nur acht von ihnen waren während des Hitlerkriegs von der deutschen Wehrmacht besetzt worden. Für jemanden, der Zutritt zu den Geheimunterlagen hatte, konnte es also nicht schwer sein, die beiden zu identifizieren. Jost und Brand hätten in dem Augenblick, als sie etwas über Latimers Pläne erfuhren, zumindest versucht, ihn an ihrer Verwirklichung zu hindern.
Latimer selbst schien sich dieses Aspekts der Situation nicht bewußt gewesen zu sein. In einem Brief hatte er sich mir gegenüber zwar dahingehend geäußert, daß er gewisse Risiken einginge, aber im weiteren Verlauf der Diskussion war er nie wieder darauf zu sprechen gekommen. Seine Einstellung dem Buchprojekt gegenüber war nicht anders als die, die er den beiden Obersten auf dem Höhepunkt ihres Unternehmens zugeschrieben hatte: er tat so, als spiele er ein einigermaßen amüsantes intellektuelles Spiel, das in keinem Bezug zur Wirklichkeit stand. Ich hatte angenommen – zu Recht, wie ich meine –, daß das Erscheinen des Buches Jost und Brand unangenehm überraschen mußte, und als ich mich an meine eigenen Erfahrungen erinnerte, freute ich mich fast auf diesen Tag. Je größer und unangenehmer diese Überraschung war, desto besser. Daran, daß Latimer nicht darauf geachtet haben könnte, nichts über den Inhalt des Buches bekannt werden zu lassen, hatte ich nicht gedacht.
Seine fast spielerische Art, das Material zu verarbeiten, hatte auch zu einigen seltsamen Widersprüchen geführt. An einer Stelle hatte er Jost und Brand als »harte, gerissene und ideenreiche« Männer beschrieben, Männer mit den Fähigkeiten, »die man braucht, will man unentdeckt operieren«. Ihre Verschwiegenheit sei, so ließ er erkennen, schon fast zum Instinkt geworden. An anderer Stelle jedoch stellte er Jost als jemanden dar, der »gern redete«, um seiner Rekonstruktion des Geschehens den Anschein größerer Wahrscheinlichkeit zu geben. Wäre Jost wirklich so geschwätzig gewesen, wie man aus Latimers Rekonstruktion hätte schließen müssen, wäre er wohl eines der größten Plappermäuler aller Zeiten gewesen und für den Geheimdienst nicht besser geeignet als ein notorischer Alkoholiker. Wäre ich nicht selbst mit Haut und Haaren in die Verschwörung des Arnold Bloch verwickelt gewesen, wäre ich sicherlich in Versuchung gekommen, seine ganze Geschichte als unglaubwürdig abzutun und zu vermuten, daß er
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