Das Intercom-Komplott
hatte. Zunächst jedoch muß ich ein paar Worte über meine eigene Lage verlieren.
Die unmittelbare Wirkung war, daß sich die Presse einige Tage lang wieder für mich interessierte. Da nichts Handfestes aufzutreiben war, suchten die Reporter natürlich nach einem anderen Aufhänger für ihre Stories, und sie fanden ihn in mir. Das schadete nicht nur meinem neuen Job, sondern brachte mich auch noch einmal Butzemännern wie der Polizei in Erinnerung. Aber ich hatte mein Lehrgeld nicht vergebens gezahlt. In allem, was ich sagte, war ich äußerst vorsichtig, und meistens sagte ich nichts. Es kam, wie ich gehofft hatte: die Reporter langweilten sich bald, und nicht viel länger dauerte es, bis die Polizei erkannte, daß ich ihr bei der Suche nach Latimer nicht weiterhelfen konnte. Nicole Deladoey wußte natürlich, daß Latimer mir eine Kopie seines Rohentwurfs Kapitel um Kapitel zur Begutachtung geschickt hatte, doch ich bezweifle, daß sie sich dazu hätte überwinden können, ihre Lippen mit meinem Namen zu beschmutzen, auch wenn es ihr eingefallen wäre, die Polizei darüber zu unterrichten. Zu dieser Zeit erfuhr ich zudem von Latimers Verlag, daß sie im Besitz einer revidierten Fassung war; damit war ich – jedenfalls für die Polizei – als Zeuge nicht mehr interessant.
Als ich die revidierte Fassung bekam und zwischen den Zeilen zu lesen begann, konnte ich das, was ich dort entdeckte, für mich behalten.
Wenn ich sage, ich hätte ›zwischen den Zeilen‹ gelesen, so stimmt das freilich nicht ganz. Denn tatsächlich waren es die Änderungen Latimers, die mich zum Kern der Wahrheit führten. Vor allem zwei Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Fassung waren von größerer Bedeutung.
Das erste Kapitel – ursprünglich der Briefwechsel zwischen Latimer und mir – war als eine ›Rekonstruktion des Geschehens‹ neu geschrieben worden; nur wenige Zitate daraus waren übernommen und als Dialoge angeordnet worden. In einer dieser Passagen stellte ich eine bemerkenswerte Streichung fest: In einem Brief hatte er mir einmal geschrieben: »Über einen Freund – er lebt in dem Land, in dem ich meinen Lebensabend verbringe – lernte ich jenen Mann kennen, den ich in meinem Buch ›Oberst Jost‹ nennen will.« Die hier kursiv wiedergegebene Parenthese war in der Neufassung gestrichen.
Warum?
Vielleicht hatte ihn sein literarisches Gewissen dazu gebracht; das wäre durchaus möglich. Denn das Bild des ›Lebensabends‹ zu bemühen, ist ziemlich abgedroschen, und wenn Latimer auch zu schmückenden Schnörkeln neigt, war er doch kein schlechter Schriftsteller. Doch wenn er diesen Satz auch aus Geschmacksgründen gestrichen hatte – warum gab er die Information, die dort, nur schlecht getarnt, stand, nicht in anderer Form? Warum sagte er nicht: »Über einen Freund in Mallorca lernte ich jenen Mann kennen …«?
Die Antwort mußte meiner Meinung nach sein, daß Oberst Jost jetzt auf Mallorca lebte und Latimer erkannt hatte, selbst ein versteckter Hinweis darauf hätte ihn in die Hinterhand bringen müssen.
Die andere Streichung, die mich besonders interessierte, war umfangreicher. Ich hatte ihm in aller Ausführlichkeit berichtet, wie ich im Intercom -Büro jenen Mann traf, der sich Werner Siepen nannte. Ich war damals zu dem Schluß gekommen, daß es sich bei ihm um Oberst Jost handeln mußte, und hatte ihm eine sorgfältige Beschreibung geliefert. Latimer gab damals zu, daß sie auch auf Oberst Jost zutraf.
Alles, was ich über dieses Zusammentreffen geschrieben hatte, war ebenso gestrichen wie alle späteren Hinweise darauf. Und nicht nur durchgestrichen: acht Seiten des ursprünglichen Typoskripts fehlten. Auf den Seiten vor und nach der herausgenommenen Passage hatte er mit Bleistift einige Überbrückungssätze geschrieben.
Meine Reaktion auf diese Änderung war zwiespältig: zunächst war ich verärgert. Ich dachte, er habe diese Seiten herausgenommen, weil sie ihn weniger informiert erscheinen ließen, als er zu sein behauptete. Doch dann wich die Verärgerung der Erleichterung. Eine Zeitlang war ich Latimer fast dankbar: was ich gesehen hatte, war ihm aufgefallen. Jemand, von dem man wußte, daß er den Oberst identifizieren konnte, würde nach Veröffentlichung des Buches bösen Ärger mit den Butzemännern bekommen.
Das war der Augenblick, als sich meine Gedanken entwirrten, als ich damit begann, das ganze Bild, wie es sich mir dargestellt hatte, noch einmal genauer anzusehen.
Beim
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