Das irische Erbe
Claire die Treppe hinunterstieg, hörte sie die Stimmen der Männer. Sie blickte kurz an sich hinunter. Der neue dunkelgrüne Hosenanzug gefiel ihr. Sie hatte ihn in einem kleinen Shop in Galway erstanden. Er war nicht teuer gewesen, deshalb hatte sie sich noch passende Schuhe dazu gekauft. Es sah ganz gut aus.
Das fanden auch die Männer. Alex sah sie bewundernd an und Tim pfiff sogar durch die Zähne.
»Hör bloß auf«, sagte sie. Und dann zu Alex: »Wir können.«
Alex legte kurz den Arm um sie, als sie über den Hof gingen. Dann fuhren sie los.
Das Theaterstück war witzig und auch ohne die Sprache zu verstehen, amüsierte sie sich köstlich. Alex raunte ihr manchmal hinter vorgehaltener Hand die Übersetzung zu und sie roch sein herbes Rasierwasser, das zu ihm passte, wie sie fand. Nach dem Stück bestand Alex darauf, dass sie noch irgendwo etwas tranken. Er führte sie in ein nobles Restaurant, das sie noch nicht kannte. Es erinnerte sie ein wenig an das Xantos, in dem Viktor ihr den Antrag machte. So fing es an. Sie seufzte leicht.
Sie wurden vom Maitre d'Hotel an einen Tisch geführt und bestellten. Alex erzählte von seinen Eltern, die kurz nach seiner Geburt nach Irland gezogen waren und mit ihm immer deutsch redeten. Claire trank zwei Glas Rotwein und fühlte sich angenehm entspannt. Als Alex kurz verschwand, sah sie eine Bewegung an der Tür. Ben betrat das Lokal, neben ihm eine dunkelhaarige Frau.
Claire erstarrte. Aber Ben bemerkte sie nicht. Die beiden wurden an einen Tisch geführt und setzten sich. Dann kam Alex wieder zurück. Mit trockenem Mund bat sie ihn, nach Hause zu fahren.
»Ich bin jetzt ziemlich müde.«
»Natürlich.«
Er winkte dem Kellner und bezahlte. Auf dem Weg zur Tür hielt Claire den Atem an. Aber Ben sah nicht in ihre Richtung und Alex bemerkte ihn auch nicht.
Schweigend fuhren sie zurück und sie sehnte sich nach ihrer alten Gelassenheit. Sie dachte an ihr Hotel, das elegante Foyer, das allen Gästen so gut gefiel. Auf Tims Vorschlag hatte sie das junge Paar engagiert, das auch zu ihrem Fest gekommen war. Die beiden würden an zwei Abenden in der Woche Musik für jeden Geschmack machen. Sie hoffte, dass ihre nächsten Nachbarn vielleicht zu Tanzabenden kommen würden.
Sie hatten sogar schon Stammgäste, wie die Wiesingers, die bereits für das nächste Jahr gebucht hatten. Alles lief wirklich gut. Sie atmete tief auf.
»Alles okay?«, fragte Alex und griff kurz nach ihrer Hand. »Ja, alles okay«, sagte sie und verdrängte Bens Gesicht.
Die Tage vor Heiligabend waren mit Unruhe erfüllt. Sie musste mehrmals in die Stadt fahren, um noch Geschenke für Tim und Nina zu finden. Nina bestand darauf, allen etwas zu schenken. Schließlich erstand sie für Nina neue Reitstiefel mit seitlichem Reißverschluss und für Tim einen sündhaft teuren Springsattel von einem Sattelmacher, den er einmal erwähnt hatte.
Mit dem Linksverkehr kam sie immer besser zurecht, er machte ihr kaum mehr Schwierigkeiten. Aber sie kannte jetzt auch mehr von der Gegend, obwohl sie im Grunde genommen noch nicht viel gesehen hatte. Aber das würde sich ändern. Es wurde Zeit, dass sie sich endlich aufraffte und das Land, in dem sie leben wollte, auch wirklich kennenlernte.
Sie ließ sich Zeit auf ihrer Fahrt nach Inveran. Das Wetter war trocken, ein leichter Wind ging. Sie genoss die Landschaft, die ihr immer wieder ein anderes Gesicht zeigte. Nach kargen und baumlosen Landstrichen mit Steinen und Geröll kamen Wiesen in vielen unterschiedlichen Grünschattierungen. Einzelne Bauernhöfe, wie hingesprenkelt, wurden von Dörfern abgelöst. Kleine bewaldete Gebiete machten dann wieder leichten Anhöhen und Flüssen Platz.
Nach einer halben Stunde kam sie an. Sie parkte den Wagen auf der Straße, die ansonsten menschenleer war, und stieg aus.
Das Café sah dunkel aus und im ersten Moment dachte sie, es habe geschlossen. Aber die Tür ließ sich öffnen und behagliche Wärme wallte ihr entgegen.
Diesmal gab es noch einen anderen Gast. Ein alter Mann mit Pfeife hockte an einem der Tische, vor sich eine aufgeschlagene Zeitung und ein Ale. Bei ihrem Eintritt blickte er kurz hoch, nickte und las weiter.
Sie setzte sich an den Tisch am Fenster und sah hinaus aufs Wasser. Der Sandstrand, der auch felsige Stellen aufwies, lag verlassen da. Im Sommer würde es sicher viele Touristen geben, jetzt aber war niemand zu sehen. Ein kleineres Motorflugzeug tauchte auf und verschwand wieder.
Das junge Mädchen
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