Das italienische Maedchen
zum Telefon und rief meinen alten Agenten Chris Hughes an.
Ich fing mit kleineren Konzerten an, um mein Selbstvertrauen zu stärken. Nun musste ich mich neu beweisen, nicht nur einem anderen Publikum, sondern auch mir selbst. Allmählich kamen wieder Anfragen. Meine einzigen Bedingungen waren, dass ich nicht mehr mit Roberto auftreten würde und durch meine Engagements nicht längere Zeit von Dir getrennt wäre.
Als Paolo de Vito mir schließlich die Mimì in La Bohème zur Saisoneröffnung in der Scala anbot, konnte ich natürlich nicht Nein sagen. Du bliebst bei Deinem geliebten Onkel Luca und Deiner Tante Abi, und ich flog nach Mailand. Paolo machte mir keine Vorwürfe und empfing mich mit offenen Armen. Zehn Jahre später als geplant sang ich schließlich die Mimì auf der Bühne der Scala. Es ist mir fast peinlich, das zu sagen, aber ich war sensationell. Sogar Dein Großvater war mit seiner Frau Signora Barezi dabei und hörte seine Tochter zum ersten Mal seit Luigi Vincenzis Soiree wieder live singen.
Im Nachhinein betrachtet hätte mir nichts Besseres passieren können als die Pause, als Du klein warst. Ich kehrte gereift an die Oper zurück und war auch eher in der Lage, den Ruhm und die Aufmerksamkeit zu verarbeiten. Und ich kann nun mit meiner Erfahrung Ella vor Fallen warnen, in die ich selbst getappt bin. Du weißt, wie gut sie in Covent Garden vorankommt; ihre Rollen wachsen mit ihrem Selbstvertrauen, aber sie hat sich noch nie verliebt …
Inzwischen bin ich seit über acht Jahren wieder ganz oben in der Opernwelt dabei. Die Zeit mit Roberto erscheint mir wie ein völlig anderes Leben. Ich behaupte nicht, dass ich nicht an Deinen Papà gedacht hätte, denn das wäre gelogen. Ich ließ Gedanken an ihn zu, weil ich wusste, dass er zu mir gehörte wie meine Arme und Beine, und daran würde sich nie etwas ändern.
Vor zwei Wochen erhielt ich einen Anruf von einem Arzt auf Korsika. Roberto hatte einen weiteren Herzinfarkt erlitten. Sein Zustand war ernst, und er wollte mich sehen …
54
Korsika, Juni 1996
Rosanna begrüßte die Krankenschwester mit einem bangen Lächeln.
»Ich möchte Roberto Rossini besuchen«, erklärte sie mit leiser Stimme. »Ich bin seine Frau.«
»Gut, dass Sie gekommen sind, Mrs Rossini. Er fragt die ganze Zeit nach Ihnen. Aber ich muss Sie warnen. Heute Nacht hatte er einen weiteren Infarkt, und seitdem verliert er immer wieder das Bewusstsein.«
»O Gott.« Rosanna schluckte.
»Ich bringe Sie zu ihm. Bitte bereiten Sie sich innerlich vor, Mrs Rossini. Und sagen Sie, was Sie zu sagen haben, wenn er bei Bewusstsein ist. Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Rosanna folgte der Frau in ein Einzelzimmer, in dem allerlei Monitore piepsten und Kanülen Flüssigkeiten transportierten, mittendrin mit geschlossenen Augen und fahler Haut Roberto.
Die Schwester bedachte Rosanna mit einem mitfühlenden Lächeln, bevor sie den Raum verließ.
Rosanna trat ans Bett, nahm seine Hand und streichelte sie. »Roberto, ich bin hier«, sagte sie leise.
Er öffnete die Augen. Und strahlte, als er sie erkannte.
»Rosanna, meine principessa …« Er griff nach ihrer anderen Hand. »Lass dich anfassen, damit ich weiß, dass du real bist. Ach, Liebe meines Lebens.«
Sie sahen einander lange an.
»Seit deinem Comeback habe ich dich oft gehört. Du bist einfach wunderbar und singst jetzt mit großer Reife und Wahrhaftigkeit.«
»Das habe ich dir zu verdanken, Roberto.«
»Tatsächlich?« Seine Augen leuchteten.
»Ja. Als ich dich kennenlernte, war ich ein kleines Mädchen. In den letzten Jahren bin ich erwachsen geworden.«
»Bist du glücklich, Rosanna? Das wünsche ich mir.«
»Nicht so wie damals, als wir zusammen waren, aber ich bin zufrieden.«
»Ich habe die glücklichste Zeit meines Lebens mit dir verbracht«, murmelte er. »Bitte, Liebes, bleib nicht für immer allein. Such dir jemanden, der dich lieben und Nico ein Vater sein kann. Und sag Nico Entschuldigung von mir, ja?«
»Du musst dich für nichts entschuldigen, Roberto. Trotzdem verspreche ich dir, ihm zu erklären, was seine Eltern miteinander hatten.«
»Und was war das?« Robertos Augen wurden feucht.
»Liebe. Eine Liebe, so mächtig, dass sie mich für alles andere blind gemacht hat. Aber ich werde ewig dankbar sein, dass ich das erleben durfte.«
»Ja. Ich …«
Als er das Gesicht vor Schmerz verzog, drückte sie seine Hand fester. Sie versuchte, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen.
»Jetzt musst du
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