Das Jahr auf dem Lande
es sich ein.«
Jo und Robert waren natürlich viel zu modern, um ihre Eltern anders als bei den Vornamen zu nennen. Adrian gefiel das. Es gab ihm das Gefühl, jünger zu sein. Christine war nicht so ganz damit einverstanden, aber sie beschwerte sich nicht.
»Er könnte sich hier doch einen schalldichten Raum einbauen lassen«, meinte sie.
»An einer so vernünftigen Lösung des Problems hätte Adrian keinen Spaß.«
Glücklicherweise liebte Jo ihre Eltern beide in gleichem Maß, und sie tolerierte Adrians Launen. Mutter und Tochter waren gern zusammen, wenn auch nicht übertrieben oft. Und wenn es Christine auch irritierte, daß sich Jo weder für einen Beruf noch für einen Ehemann entscheiden konnte, so mischte sie sich nicht in die Angelegenheiten des Mädchens ein. Adrian war bezaubert von der Schönheit seiner Tochter und jederzeit mit Ratschlägen zur Stelle, auch unaufgefordert. Jo hatte ihr Philosophikum gemacht, um dem Beispiel ihrer Freundinnen zu folgen, und jetzt wußte sie nicht, was sie damit anfangen sollte. Unzufrieden nahm sie einen Job nach dem anderen an. Sie hatte sich geweigert, Lehrerin zu werden. »Viel zu langweilig«, hatte sie erklärt. Und sonst hatte sie auch keine beruflichen Interessen oder Erfolge. Unglücklicherweise hatte sie aber herausragende Erfolge beim anderen Geschlecht und ging mit ihren Verehrern um, »als wären sie ein Päckchen Spielkarten«, wie Christine einmal anklagend zu Adrian gesagt hatte. Ihre Freundinnen waren ebenso zahlreich, und sie eilte von einer Party zur anderen. Christine meinte, Jo sei vor allem deshalb so vergnügungssüchtig, weil sie innerlich unzufrieden sei und noch nicht wisse, was sie aus ihrem Leben machen solle. Mit der Zeit werde sich das schon geben.
Robert war ein großer Trost. Auf ihn konnte ihr Mutterherz stolz sein. Adrian fand die Normalität seines Sohnes etwas verwirrend. Robert hatte seinen Eltern nie Grund gegeben, sich über lange Haare und Vollbart aufzuregen. Er hatte einen ausgeprägten Sinn fürs Praktische, mit Erfolg Landwirtschaft an der Universität in Massey studiert und dann, ohne sich in einem spektakulären Job zu versuchen, als Schafhirte auf einer Farm im Süden angefangen. Dort hatte er sich inzwischen zu einem leitenden Angestellten emporgearbeitet. Jo war stolz auf ihren Bruder und er auf seine schöne Schwester, aber sie sahen einander nur selten. Mit seinen Eltern kam er gut aus, und er lächelte gutmütig, wenn ihm wieder einmal bewußt wurde, daß Adrian sich einen temperamentvolleren, künstlerisch veranlagten Sohn gewünscht hätte, der sich wenigstens für Journalismus interessierte. Adrian hatte gehofft, daß Robert seine geistigen Neigungen geerbt hätte, und es war ein schwerer Schlag für ihn gewesen, als sich sein Sohn für die Landwirtschaft entschied.
Robert hatte überhaupt keine poetische Ader. Als Adrian ihn einmal gefragt hatte, ob die wilden Stürme auf der Schafweide nicht Verse in seinem Herzen weckten, hatte der junge Mann lachend erklärt, sie inspirierten ihn höchstens zu unaussprechlichen Flüchen. Und versuchsweise Bemerkungen über einen goldenen Abendhimmel veranlaßten Robert nur zu düsteren Wetterprognosen. Danach gab es Adrian auf und begnügte sich damit, sich an den Reitkünsten seines Sohnes zu erfreuen, an seinem gesunden Menschenverstand; und dann ging er dazu über, das Stadtvolk zu verdammen, das so hochnäsig über die »simplen Farmer« sprach. Schließlich wären die Farmer doch das Salz der Erde.
Christine verlangte wenig von ihren Kindern, und sie hatte Verständnis für die beiden, trotz der verwirrenden Überraschungen, die Jo ihr manchmal bereitete. Sie gab sich zufrieden mit einer Beziehung, die Adrian als oberflächlich bezeichnen würde, die aber dem Unabhängigkeitsdrang der Jugend genügend Raum ließ. Die beiden liebten sie, ohne Verpflichtungen ihr gegenüber zu fühlen, und Christines einziger Kummer war, daß Jo gerade eine so unruhige Zeit durchlebte und daß ihre Kinder so wenig voneinander sahen.
Jo kam wieder auf die allerneueste Idee ihres Vaters zu sprechen, als sie an diesem Abend mit Christine allein war. »Glücklicherweise gehen solche Träume meist vorüber. Stell dir doch uns drei vor, wie Pelikane in der Wildnis, wie wir im Schlamm einer Landstraße feststecken, umgeben von Adrians >Söhnen der Erde<. Da bleibe ich schon lieber in der Stadt und suche mir einen Job.«
»Was für einen Job?« fragte Christine in ihrer entnervenden Direktheit,
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