Das Jahr auf dem Lande
mir ehrlich sagen. Natürlich müßtest du erst einmal herausfinden, was für Möglichkeiten in dieser Farm stecken. Aber wenn sie dir zusagt, würde ich sie dir übergeben, und du könntest allein schalten und walten.«
Robert war überwältigt, aber er sagte nur wenig, denn er war kein Mann großer Worte. Eine eigene Farm... »Das ist schrecklich nett von dir, Adrian. Schauen wir uns das Objekt mal an. An die Einsamkeit bin ich gewöhnt. Die Schaffarm liegt fünfzig Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Die Frage ist nur — wie ist das Land ? Es kann nicht sehr ertragreich sein, wenn es bei den gegenwärtigen Grundstückspreisen billig ist. Aber heutzutage hat man die Möglichkeiten, auch aus einem schlechten Boden einiges herauszuholen.«
Zögernd erwiderte Adrian: »Ich sage es euch lieber gleich. Die Farm ist so billig, weil sie an einer schlammigen Lehmstraße liegt.«
Christine sagte nichts, obwohl ihr das Herz schwer wurde. Es war ja nur für ein Jahr, und hinter einer Lehmstraße würde Adrian ganz bestimmt die Stille finden, die er suchte.
2
S ie hatten beschlossen, gleich am nächsten Morgen zu der Farm hinauszufahren. Unglücklicherweise wurde der Aufbruch hinausgezögert, weil Adrian mit einem Hemd zu kämpfen hatte. Es gehörte zu seinen Eigenheiten, seine Wut an unbeseelten Gegenständen auszulassen und nur selten an seinen Mitmenschen. Christine ging in sein Zimmer, sah ein zusammengeknülltes Hemd in der Ecke liegen, und er sagte entschuldigend: »Das verdammte Ding schleuderte seine Knöpfe von sich, sowie es mich erblickte.« Trotzdem waren sie schon um sieben Uhr unterwegs. Robert saß am Steuer, und nach zweieinhalb Stunden hatten sie den größten Teil der Strecke auf einer breiten Asphaltstraße zurückgelegt. Sie kamen zu einem Schild mit der Aufschrift »Eldado«, und die Szenerie veränderte sich, als sie auf einer gewundenen Schotterstraße weiterfuhren, an der nur hin und wieder vereinzelte Häuser lagen.
»Miese Straße«, bemerkte Adrian, und sein Pioniergeist erhielt einen kleinen Dämpfer. »Und was für ein merkwürdiger Name — Eldado...«
»Wahrscheinlich hat es jemand >Eldorado< genannt und dann bemerkt, daß es keins ist«, meinte Christine. »Und so hat er eine Silbe weggelassen.«
»Sehr wenig Farmen«, kommentierte Robert, »und wenig Steuereinnahmen. Deshalb kümmert sich der Gemeinderat wohl nicht um die Straße.« Er drosselte das Tempo und sagte sich, daß man ja nicht viel erwarten könne, wenn die Farm so billig war.
Sie passierten mehrere Farmen und fuhren dann durch jungfräulichen Wald. Robert meinte, dies müsse entweder Urwald sein oder ein riesengroßes Reservat. Später entdeckten sie, daß der Waldgürtel nur schmal war und daß dahinter ein paar kleine, aber ertragreiche Farmen lagen, deren Häuser sich um ein Zentralgebäude gruppierten. Hier lebte eine kleine Kolonie von Maori-Farmern, glücklich, zufrieden und erfolgreich. Sie betrieben Milchwirtschaft und transportierten ihre Produkte zur Hauptstraße, wo sie regelmäßig abgeholt wurden, in der Hochsaison zwei- bis dreimal in der Woche.
Die meisten waren in der Stadt zur Schule gegangen, waren aber dann auf ihr Land und zu ihrem Lebensstil zurückgekehrt, der Unabhängigkeit mit Privatsphäre verband. Mit den Pakeha-Siedlern kamen sie gut aus und wurden von ihnen respektiert. Die Post deponierten sie dreimal pro Woche an der Hauptstraße und holten gleichzeitig auch die Sendungen ab, die sie bekamen. Dadurch waren sie völlig unabhängig von Eldado, ein ideales Leben für Leute, die die Vorzüge einer Pakeha-Kommune genießen wollten, kombiniert mit der Kultur der Maori.
Aber das alles sollte die Familie Medway erst später erfahren. An diesem Tag sahen sie nur Wald und keine Anzeichen von Besiedlung, außer breiten Wagenspuren zwischen den Bäumen, die scheinbar ins Nichts führten. Als sie aus dem Dickicht hervortauchten, warf Robert einen Blick auf den Kilometerzähler. »Wenn das Schild recht hat, müßten wir nur noch zwölf Kilometer von Eldado entfernt sein. Ich nehme an, das ist eine kleine Siedlung.«
»Aber wir fahren nicht bis zum Dorf«, sagte Adrian. »Die Abzweigung zur Farm muß schon nach drei Kilometern kommen.« Als sie dann an einem kleinen Schuppen vorbeikamen, meinte er: »Hier muß es sein. Die Hütte gehört zwei alten Männern, die von ihrer Rente leben und sich nie blicken lassen.« Es befriedigte ihn sichtlich, daß er so exzentrische Nachbarn haben
Weitere Kostenlose Bücher