Das Jahr der Flut
lange genug geköchelt. Sie gibt meinen Sareptasenf dazu, wartet einen Moment und verteilt dann die Suppe. Wir haben nur zwei Tassen − also müssen wir uns abwechseln, sagt sie.
»Die beiden kriegen nichts«, sagt Amanda. Sie weigert sich, die Painballer auch nur anzusehen.
»Doch«, sagt Toby. »Die kriegen was. Wir haben heute Sankt Juliana und Allerseelen.«
»Was soll mit den beiden passieren?«, fragt Amanda. »Morgen?« Zumindest zeigt sie ein Interesse an etwas.
»Laufen lassen kannst du sie jedenfalls nicht«, sage ich. »Die bringen uns um. Die haben Oates ermordet. Und schau dir an, was sie mit Amanda gemacht haben!«
»Das findet sich«, sagt Toby. »Später. Heute ist ein Feiertag.« Sie taucht die Tassen in die Suppe und blickt in die Lagerfeuerrunde. »Tolles Festmahl, was?«, sagt sie mit ihrer Trockenhexenstimme. Sie stößt ein kleines Lachen aus. »Aber wir sind noch nicht am Ende! Oder?« Das sagt sie zu Amanda.
»Kaputt«, sagt Amanda. Ihre Stimme ist wahnsinnig schwach.
»Nicht mehr dran denken«, sage ich, und wieder fängt sie leise an zu weinen: Sie ist in der Brache. Ich nehme sie in den Arm. »Ich bin hier, du bist hier, alles ist gut«, flüstere ich.
»Wozu das alles?«, fragt Amanda, aber nicht mich, sondern Toby.
»Es ist jetzt nicht die Zeit«, sagt Toby mit ihrer alten Eva-Sechs-Stimme, »um über den letzten Sinn nachzugrübeln. Ich möchte gern, dass wir alle die Vergangenheit vergessen, zumindest alles, was daran schrecklich war. Lasst uns dankbar sein für diese Speise, die uns gegeben wurde. Amanda, Ren, Jimmy. Ihr auch, wenn’s geht.« Letzteres gilt den beiden Painballern.
Einer murmelt etwas wie:
Du kannst mich mal,
aber nicht sehr laut. Er will was von der Suppe abhaben.
Toby redet weiter, als hätte sie nichts gehört. »Und ich möchte, dass wir derjenigen gedenken, die nicht mehr da sind, überall auf der Welt, vor allem aber unserer Freunde, die jetzt nicht hier sein können. Liebe Adams, liebe Evas, liebe Mitsäugetiere und Mitgeschöpfe, ihr alle, die ihr jetzt im Geiste seid − behaltet uns in eurem Angesicht und gebt uns eure Kraft, die können wir nämlich wirklich gebrauchen.«
Dann nimmt sie einen Schluck Suppe und reicht Amanda die Tasse weiter. Die andere Tasse gibt sie Jimmy, aber er kann sie nicht richtig halten und verschüttet die Hälfte der Suppe in den Sand. Ich hocke mich neben ihn, um ihm beim Trinken zu helfen. Vielleicht stirbt er, denke ich. Vielleicht ist er morgen früh tot.
»Ich wusste, dass du zurückkommen würdest«, sagt er, diesmal zu mir. »Ich wusste es. Verwandle dich nicht in eine Eule.«
»Ich bin keine Eule«, sage ich. »Du hast den Verstand verloren. Ich bin Ren − weißt du noch? Übrigens hast du mir das Herz gebrochen; aber ich bin trotzdem froh, dass du noch am Leben bist.« Jetzt, wo es raus ist, fällt etwas Schweres, Erstickendes von mir ab, und ich bin wirklich glücklich.
Er lächelt mich an oder diejenige, für die er mich hält. Ein kleines fiebriges Grinsen. »Jetzt geht alles wieder von vorne los«, sagt er zu seinem kranken Fuß. »Hör mal, die Musik.« Er neigt den Kopf zur Seite, er schaut ganz verzückt. »Die Musik kann man nicht töten«, sagt er. »Es geht einfach nicht.«
»Welche Musik?«, frage ich, weil ich nichts höre.
»Ruhe«, sagt Toby.
Wir horchen. Jimmy hat recht, da ist Musik. Sie ist schwach und weit weg, aber sie kommt näher. Es ist ein Chor von Menschen. Jetzt sehen wir ihre flackernden Fackeln, sie winden sich durch das Dunkel des Waldes und kommen auf uns zu.
DANKSAGUNG
Das
Jahr der Flut
ist Fiktion; doch die allgemeine Richtung und viele Details sind beunruhigend nahe an der Wirklichkeit. Die Gottesgärtner-Sekte sowie Amanda Payne, Brenda (Ren), Bernice, Jimmy der Schneemann, Glenn (alias Crake) und die MaddAddam-Gruppe tauchten schon im Roman
Oryx und Crake
auf. Die Gärtner haben zwar keine real existierende Religion zum Vorbild, aber ihre Theologie und ihre Praktiken sind nicht beispiellos. Ihre Heiligen wurden wegen ihrer Beiträge zu jenen Lebensbereichen ausgewählt, die den Gärtnern besonders am Herzen liegen; die Gärtner haben noch viele andere Heilige, aber sie kommen in diesem Buch nicht vor. Die stärksten Einflüsse auf die Lieder der Gärtner stammen von William Blake, John Bunyan und dem
Hymn Book of the Anglican Church of Canada and the United Church of Canada.
Wie alle Sammlungen religiöser Lieder weisen auch die der Gärtner Aspekte auf, die
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