Das Jahr des Hasen
rannte im Kreis. Die Meute nä herte sich. Plötzlich kam der Hase zwischen den Bäu men hervorgesaust, und als er Vatanen sah, sprang er Hals über Kopf in seine Arme. Aus seinem Maul rannen ein paar hellrote Blutstropfen. Das Geheul der Hunde wurde lauter.
Vatanen wußte, daß die Hunde ihn zerreißen konn ten, wenn er mitten im Wald mit dem Hasen im Arm stehen blieb. Sollte er jetzt die geliebte Kreatur im Stich lassen, sie preisgeben, um das eigene Leben zu retten?
Nein. Der Gedanke, kaum war er entstanden, be schämte ihn. Vatanen rannte zu einem nahe gelegenen Hügel, der mit dickstämmigen Krüppelkiefern bestanden war. Schnell schwang er sich auf einen Baum. Es war gar nicht einfach, mit einem Hasen unter dem Arm eine Kiefer zu erklimmen. Fellhaare blieben an der Baumrin de hängen, aber schließlich gelangte Vatanen hinauf.
Im selben Moment kamen die Hunde herangefegt. Sie beschnüffelten die Hasenspuren und hatten den Baum bald gefunden. Rasend stemmten sie die Vorderpfoten gegen den Stamm und heulten wütend. Sie kratzten am Stamm, daß die Rinde splitterte. Der Hase steckte sei nen Kopf unter Vatanens Arm, er zitterte am ganzen Körper.
Wieder waren Stimmen von Betrunkenen zu hören. Bald tauchten fünf Männer unter dem Baum auf.
»Sch, sch«, beruhigten sie die Hunde. »Also auf dem Baum sitzt der Kerl jetzt!«
Die Männer johlten, einer stieß mit dem Fuß gegen den Stamm, ein anderer versuchte, Vatanen von der Kiefer zu schütteln.
»Jetzt hat dich wohl der Mut verlassen! Wirf den Ha-sen runter, dann brauchen wir ihn nicht in deinem Arm zu erschießen.«
»Schieß in den Baum, schieß in den Baum! Das wird ein Ding, garantiert glaubt keiner, daß Karlsson einen Hasen vom Baum geschossen hat!«
»Und gleich noch einen Kerl dazu!«
Das Lachen nahm kein Ende. Die Männer rüttelten am Baum, die Hunde wedelten um sie herum. Vatanen traten vor Wut die Tränen in die Augen. Jemand be merkte es: »Lassen wir den Scheißer, der flennt ja schon. Das war genug Sonntagsvergnügen.«
»Aber die Hunde lassen wir noch eine Stunde hier, damit der Kerl lernt, das Maul nicht so voll zu nehmen. Auf in die Sauna, die ist bestimmt schon heiß.«
Die Männer verschwanden. Die Hunde blieben als Wache am Baum zurück, sie bellten und jaulten. Vata nen verspürte Brechreiz.
Kurz bevor es dunkel wurde, pfiff jemand nach den Hunden, sie folgten nur widerstrebend. Vatanen wurde schwindelig, der Hase zitterte immer noch.
Am selben Abend kehrte Vatanen nach Helsinki zu rück. Zuerst wollte er Anzeige erstatten, unterließ es dann aber. Zu Leila sagte er: »Ich gehe nach Norden, in die Hütte von Läähkimäkuru. Der Süden bekommt mir nicht.« Und so geschah es.
21. KAPITEL
Der Besuch
Der Frühling kam, das Leben im klaren nördlichen Klima war angenehm. Vatanen hatte von einem Rentier züchter den Auftrag erhalten, Bäume für einen Rentier zaun zu fällen. Die Arbeit war nicht allzu schwer und frei von Zwängen. Der Hase genoß sein Dasein, seine Spuren fanden sich überall in der Umgebung.
Leila schickte Briefe, manchmal kamen gleich zwei auf einmal, denn Vatanen erhielt in der Hütte von Lääh kimäkuru nur alle zwei Wochen Post. Ihre Briefe waren glühendheiße Botschaften, die Vatanen mit sehr viel Vergnügen las. Er antwortete nur hin und wieder, um die Flamme am Brennen zu halten, wie man so sagt. Leila wünschte sich sehnlichst, daß Vatanen Lappland verließ und endlich in die Zivilisation zurückkehrte, doch er konnte sich nicht dazu entschließen. Er dachte nur mit halber Begeisterung an den Süden, die Gepflo genheiten in den besiedelten Gebieten flößten ihm hefti ge Abscheu ein.
In der letzten Märzwoche nahm das Leben in der Hüt te eine überraschende Wendung.
Der Bär vom vergangenen Herbst war aus seiner Höh le gekommen – oder hatte sich nach seinen Erfahrungen der Vorweihnachtszeit vielleicht gar nicht wieder zum Winterschlaf begeben – und trieb sich in der Gegend herum. Vatanen bemerkte, daß er mehrere Rentiere gerissen hatte, im weichen Schnee hatte er offenbar Mühe, genügend andere Nahrung zu finden. Er schnüf felte nachts um die Hütte, pißte an die Ecken und schnaufte gereizt in der Märzluft.
Diese Besuche des Bären ließen Vatanen erzittern. Er hatte sein Lager unmittelbar an der Wand, das Schnau fen draußen raubte ihm den Schlaf. Er kam sich vor wie ein kleiner Fisch in der Reuse, der von einem großmäu ligen Hecht eingekreist
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