Das Jahr des Hasen
Papier, glättete es, verschloß es in einen sauberen Briefumschlag und warf ihn bei Vollmond um Mitternacht in den Briefka sten des Präsidentenpalastes, von wo er am folgenden Morgen um Punkt sechs Uhr zusammen mit vielen anderen zur Bearbeitung in die Kanzlei geschafft wurde.
Vom Öffnen des Briefes bis zu dem Moment, da der Hase in einem Spankorb in Vatanens Zelle gebracht wurde, vergingen nicht mehr als eine Stunde und zehn Minuten. Als ich Vatanen fragte, wie er das erreicht habe, antwortete er, darauf wolle er nicht eingehen, der Brief sei vertraulich gewesen.
Ich, der Autor, hatte das einzigartige Glück, Vatanen in seiner Untersuchungshaft besuchen zu dürfen. Wir führten lange Gespräche miteinander, die ich möglichst genau aufzeichnete, um danach dieses Buch zu schrei ben.
Mir hat sich das Bild eines tiefsinnigen und charak tervollen Mannes eingeprägt; ewig werde ich an seinen Ausspruch zum Abschluß des letzten Interviews denken: »So ist das Leben.«
Meines Erachtens weist Vatanens individuellhistori sche Tat ihn als Revolutionär aus, als umstürzlerisch im echten Sinne, und darin liegt seine Größe. Wenn er in seiner öden Zelle zärtlich den Hasen streichelte, als wäre er dessen Mutter, begriff ich, was Menschlichkeit ist. Ich erinnere mich an Momente, in denen er feuchten Auges die steinerne Gefängniswand ansah. Dabei hatte ich das unbestimmte Gefühl, daß nichts diesen Mann, der Opfer so unglücklicher Umstände geworden war, davon abhal ten würde, noch einmal seine innersten Kräfte zu offen baren.
Als dieses Buch in Druck gehen sollte, brachte mir ein reitender Bote ein Blitztelegramm aus dem Gefängnis in mein Arbeitszimmer: Vatanen und der Hase waren geflohen!
Ich eilte hin und erfuhr die Einzelheiten der Flucht. Sie gehört zu den merkwürdigsten Fällen unserer Kri minalgeschichte: Vatanen verspürte einen so großen Freiheitsdrang, daß er an einem dieser leidvollen Tage mit dem Hasen durch die Zellenwand ging, über den Gefängnishof schritt und durch die Außenmauer in die Freiheit lief. Danach hat man weder ihn noch den Hasen je wieder gesehen. Die Gefängniswärter standen wie gelähmt hinter ihren Maschinenpistolen, unfähig, die Flucht zu verhindern. Vatanens Anwältin, Frau L. Heik kinen, hat man seit dem Tag der Flucht ebenfalls nicht mehr gesehen, und niemand weiß, wo sie sein könnte.
Auch diese letzte bekanntgewordene Tat zeigt, daß mit Vatanen nicht zu spaßen ist.
Suomusjärvi, den 14.5.1975 Arto Paasilinna
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