Das Jahr des Hasen
angerufen und um eine Behandlung gebeten, bis schließlich einer eingewilligt hatte. Der Taxifahrer aus Hanko hatte in Turku übernachten müssen. Während der ganzen Tour war das Mädchen dabeigewesen, wor über sich Vatanen ein wenig wunderte.
»Wie hast du das ausgehalten?«
»Ich habe über Weihnachten Urlaub, Schatz.« Schatz? Vatanen betrachtete sie mit anderen Augen,
ein neuartiges Interesse wurde in ihm wach. Hatten sie eine Beziehung miteinander? Und was für eine?
Das Mädchen sah reizend aus, da gab es gar nichts. Das aber erregte in Vatanen Zweifel: Wie hatte eine so hübsche Frau den ganzen Blödsinn so lange ertragen können? Hatte er sich als stinkender Säufer der Verfüh rung dieser Frau schuldig gemacht? Das hielt er schon deshalb für unwahrscheinlich, weil er sich, wie aus dem Bericht zu schließen war, die ganze Zeit ziemlich wider wärtig aufgeführt hatte.
Außerdem schien das Mädchen verlobt zu sein. An ihrem Finger glänzte ein Ring, so ein billiger, wie ihn Vatanen nie einer Frau kaufen würde, am allerwenigsten einer wie dieser. Für einen Augenblick gab er sich der Vorstellung hin, daß zwischen seiner Reisegefährtin und ihm vielleicht etwas Schönes vorgefallen sei, aber der alberne Ring verscheuchte diese Gedanken.
Er fand es bedrückend, allein zu sein, nicht einmal der Hase war bei ihm, sondern in Helsinki. Auf einmal hatte er furchtbare Sehnsucht nach dem Tier.
»Ich müßte den Hasen holen«, sagte Vatanen traurig und betrachtete den Ring des Mädchens. »Du bist ver lobt. Was für ein alberner Ring, ehrlich gesagt.«
Vatanen seufzte schwer.
»Rate mal, mit wem«, sagte das Mädchen und sah Va tanen ernst in die Augen.
»Na ja, mit irgendeinem Bankkaufmann natürlich, nimm es mir nicht übel, aber es interessiert mich nicht.«
»Nein. Rate weiter.«
»Rate du doch mal, mit wem ich verlobt bin«, schnaubte Vatanen.
»Ich weiß es«, sagte das Mädchen. »Aber rate jetzt, wer mein Verlobter ist.«
»Ich habe keine Lust«, sagte Vatanen. »Ich muß mein Zeug zusammensuchen. Würdest du bitte auf dem Bahnhof anrufen und nach den Abfahrtzeiten der Züge fragen? Tu mir den Gefallen, ich bin so müde.«
»Ich will es dir sagen«, erklärte das Mädchen. »Du bist mit mir verlobt.«
Vatanen hörte, was sie sagte. Er hörte jedes einzelne Wort, ohne etwas zu begreifen. Er sah erst ihr in die Augen, dann aufs Tischtuch, dann aus dem Fenster, auf den Fußboden, schließlich auf den Kellner, der an den Tisch getreten war. Schließlich raffte er sich auf und bestellte zwei weitere Glas, egal welchen Inhalts.
Der Kellner brachte noch einmal dasselbe, sie tranken schweigend.
»Ist das wahr?« fragte Vatanen nach einer langen Zeit. Das Mädchen beteuerte, daß es seine Richtigkeit ha-
be. Vatanen hatte ihr schon in Kerava einen Antrag gemacht, und in Turenki hatte sie eingewilligt. Der Ring stammte aus Hanko. Weil die Läden bereits geschlossen waren, hatten sie keinen besseren bekommen, diesen
hatte ihnen die elfjährige Tochter eines Hankoer Taxi fahrers verkauft. Nickel, vergoldet, sagte das Mädchen.
»Hm.«
»Ja.«
»Wir werden also heiraten?« fragte Vatanen. »Zumindest hast du tagelang davon geredet. So war es
abgemacht.«
Dies war wieder eine neue Situation für ihn. Der Hase war fort, aber an seine Stelle war eine Frau getreten. Leila, eine recht junge Frau, auch schön. Durch Vata nens Körper wogte ein Gefühl von Glück und Kraft: Er hatte eine Frau an seiner Seite, eine junge, gesunde und lebendige Frau! Er betrachtete sie näher.
Der Eindruck war: gut, gepflegt. Schöne Hände, lange schmale Finger. Vatanen ergriff sie, drückte sie zur Probe. Gut, ausgesprochen gut. Ihr Gesicht war hübsch, am besten die Nase, die Augen waren blaugrau, ziemlich groß, keine Spur von Schminke, die Wimpern lang… gut! Ihr Mund war groß, die Zähne gesund, ausgezeich net!
»Könntest du mir die Tageszeitungen holen?« bat Va tanen. Er brauchte nichts zu lesen und wollte damit erreichen, daß sie sich bewegte, vom Tisch aufstand, einige Schritte ging, damit er sich ein Gesamtbild von ihrer Figur machen konnte. Sie stand auf, und die Art, in der sie es tat, genügte Vatanens Ansprüchen. Ihre Haare wehten, als sie sich anmutig umdrehte.
Bis jetzt schien ihm alles vollkommen. Sie ging zum Zeitungsregal neben der Tür. Vatanen
sah sofort, daß auch ihre Figur perfekt war, vielleicht das Beste von allem. Große Freude erfüllte Vatanens müdes Herz, und als
Weitere Kostenlose Bücher