Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
wollte ich nicht ändern.
Ich hängte die beiden Zettel an den Bildschirm meines Computers, lief auf und ab. Die Zettel füllten sich im Lauf des Tages nicht weiter. Mit heftigem Kaffeekonsum hatte ich mich in Unruhe versetzt. Ich bestellte telefonisch eine Familienpizza, um mich durch Essen schwerer zu machen. Ich fragte den Pizzaboten nach Scotty, zeigte ihm meine Zeichnung. Er schüttelte den Kopf. Als ich den Karton öffnete, wich die Pizza vor mir zurück. Ich hatte keinen Appetit mehr. Aber ich trank das mitgelieferte alkoholfreie Gratisbier. Es machte mich ein wenig betrunken.
Ich versuchte mich mit Arbeit von meinen sich verknotenden Innereien abzulenken, skizzierte Buchstaben für die Ölgesellschaft. Sie wurden am Ende zu Flammen, hatten rotes Haar, lagen zwischen Kissen und umarmten sich. Ich legte mich ins Bett, versuchte zu schlafen. Es gelang mir immer nur für wenige Minuten.
Am späten Nachmittag kam mir die Idee, herauszufinden, wie meine anderen Beziehungen gewesen waren.
Ich rief die Bauchtänzerin an. Obwohl ich ihr genau erklärte, wer ich sei und wie ich sie damals vor etwa einem Jahr kennengelernt und was sie mit meiner Wohnung gemacht habe, erinnerte sie sich nicht an mich. Wahrscheinlich hatte sie alle Wohnungen ihrer Freunde auf diese Weise dekoriert. Die Beziehung zu mir hatte keine Bedeutung. Möglicherweise erinnerte sich keine der Frauen mehr an mich. Ich hatte keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es gab nichts an mir, was mich für eine Frau auszeichnete. Ich war eine Null, eine Leerstelle im Universum der Frauen.
Ich rief eine Grafikerin an, die früher mit mir zusammengearbeitet hatte. Unsere Interessen waren ziemlich ähnlich gewesen, wir schwärmten für alte Filme, mochten die gleichen Bilder und Restaurants. Damals hatte ich immer gedacht, wenn ich will, wird aus unserer Arbeitsbeziehung ein Verhältnis.
»Hast du wieder mal einen Job?«, fragte sie sofort.
»Gehst du mit mir aus?«
»Was ist los?«
»Ich würde dich gern mal wieder sehen.«
»Was ist los mit dir? Hat dich gerade eine Frau verlassen?«
»Nein, nein.«
»Hör mal, das Gute an unserer Zusammenarbeit war, dass niemals die Gefahr bestand, dass daraus eine intime Beziehung wird.«
»Das Gute. Die Gefahr. Verstehe, verstehe.«
»Nein, ich meine, du warst als Mann für mich gar nicht vorhanden, verstehst du?«
»Vollkommen.«
6
»Dies ist meine alte Stereoanlage, ich wollte sie Gordon schenken«, erklärte mein Schulfreund. Er schob den großen Karton, in dem ich saß, von der Sackkarre in unseren Hausflur bis zum Kücheneingang. Er sollte, so war es ausgemacht, ganz schnell wieder verschwinden. Bevor meine Mutter Einwände erheben konnte. Erwartungsgemäß sagte sie: »Wir müssen erst klären, ob er die haben darf.«
Bei allen Dingen, die mich betrafen, musste grundsätzlich zuerst Großvater gefragt werden.
»Ich lass den Karton erst mal stehen«, sagte mein Freund und schob mit der Karre wieder ab.
»Gordons Hi-Fi-Anlage« hatte ich selbst auf den Karton geschrieben und war mit Comicheften, einer Taschenlampe und einem Messer hineingestiegen. Mit angezogenen Knien und gebeugt hockte ich darin, um meine Familie zu belauschen. Vorsorglich hatte ich auch die Fernbedienung für den Kassettenrekorder in meinem Zimmer eingepackt, mit der ich meine Anwesenheit dort simulieren konnte.
Ich war vierzehn, und etwa mit zehn Jahren hatte ich begonnen, mich unsichtbar zu machen. Ich kannte alle knarrenden Fußbodenbretter im Haus. Ich wusste, bis zu welchem Winkel ich eine Tür öffnen durfte, damit sie nicht quietschte. Geräuschlos konnte ich mich durch das ganze Haus bewegen, konnte kommen und gehen, ohne dass es jemand bemerkte. Im Garten und vor dem Haus kannte ich einige Stellen, an denen mich die Umgebung, wenn ich still stand, so tarnte, dass man mich übersah.
Mit vierzehn hatte ich eine große Perfektion darin erreicht, das Haus heimlich zu verlassen. In meinem abgeschlossenen Zimmer lief eine Tonbandkassette, die während meiner Abwesenheit alle Geräusche meiner Anwesenheit von sich gab. Wenn mein Bruder Martin an meiner Zimmertür lauschte, hörte er mich ab und zu stöhnen, kurz das Radio anstellen, ein Lied summen, hämmern, Papier zerreißen und zerknüllen oder das Knarren meines Bettes. Ich saß inzwischen zwei Häuser weiter bei einem Schulfreund. Mit einem kabellosen Babyfon überwachte ich mein Zimmer. Klopfte dort jemand an die Tür oder rief mich, so schaltete ich mittels einer
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