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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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umgebauten Fernbedienung für ein Modellschiff einen zweiten Kassettenrekorder ein. Auf dessen Band rief ich wiederholt und mürrisch, dass ich gleich käme. Mir blieb genug Zeit, zurückzulaufen. Nicht nur mein Bruder, auch meine Mutter fiel mehrmals auf diesen Trick herein.
    Ich saß im Karton mit der angeblichen Musikanlage, und oben in meinem Zimmer im ersten Stock lief meine Anwesenheitskassette. Ich wollte herausfinden, was sie über mich redeten. Vor allem wollte ich wissen, nach welchen Vorschriften meines Großvaters ich behandelt wurde. Es gab welche, und ich wusste, dass er sie meiner Mutter in ein Heft diktiert hatte. Sie versteckte es vor mir.
    Es dauerte lange, bis etwas geschah. Der Strahl meiner Taschenlampe wurde bereits sehr schwach. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mir fehlten Ersatzbatterien. Mein Bruder Martin kam die Treppe heruntergehumpelt. Er hatte nur noch ein Bein. Er schlich um den Karton, dann schlug er mit seinem Krückstock dagegen.
    »Ich will auch so eine Stereoanlage.« Mein Bruder war drei Jahre jünger, besaß einen besseren Kassettenrekorder als ich.
    »Immer kriegt Gordon alles und ich nichts.«
    »Wir werden Großvater fragen, ob er die behalten darf. Er kommt sowieso.« Meine Mutter stand auf, schlurfte durch die Küche. Sie drehte den Wasserhahn auf. Dann begann die Kaffeemaschine zu röcheln.
    »Ich will nicht, dass er so eine Musikanlage hat.« Martin klopfte mit seiner Krücke auf den Boden. Er kam aus der Küche und schlug erneut gegen den Karton. Ich umfasste mein Messer, mit dem ich mich, wenn es Zeit war, aus dem zugeklebten Karton befreien wollte.
    »Du kannst ihn runterholen«, sagte meine Mutter. »Großvater kommt gleich.«
    Mein Bruder schrie meinen Namen in den Flur. Ich schaltete das zweite Bandgerät ein, aber unten hörte man nichts davon.
    »Geh hoch«, befahl meine Mutter. »Hol ihn.«
    Martin zog sich die Treppe hinauf. Oben hämmerte er gegen meine Tür. Ich schaltete erneut das Band mit meiner Antwort ein. Mein Bruder schien nicht auf mich zu warten, sondern ging in sein Zimmer.
    Ich hörte den Motor des Geländewagens meines Großvaters. Er fuhr die Auffahrt entlang bis dicht vors Haus. Er schlug die Fahrertür zu. Das Geräusch war ungewohnt dumpf. Etwas klemmte. Er fluchte laut und schloss die Tür erneut. Dann kam er herein. Er räusperte sich, brummte etwas. Die Eisen an Absätzen und Sohlen seiner schweren Stiefel gingen im Schlagzeugrhythmus an meinem Karton vorüber. Die Reibung des Stoffes verriet seine Cordhose. Ich glaube, er küsste meine Mutter. Er sagte nichts. Sie schwieg auch. Es raschelte in der Küche. Dann lachte sie, als wäre sie gekitzelt worden. Es hörte sich an, als packte er ein Geschenk aus. Beide schwiegen, dann machten sie sich über das her, was er mitgebracht hatte. Etwas zum Essen. Sie schmatzten, zerrten daran. In meiner Vorstellung war es ein Stück Fleisch, der Arm eines Menschen, über den sie sich knurrend hermachten, ihre Zähne hineinschlugen, Fetzen herausrissen und hinunterschlangen. Sie knurrten, stöhnten dabei. Mir wurde eng in meinem Karton, ich schwitzte, bohrte mit dem Messer kleine Löcher in die Pappe und versuchte hinauszusehen. Es gelang nicht. Der Karton war zu hart, um größere Löcher hineinzuschneiden. Eine Falle. Daran hatte ich nicht gedacht, dass die Luft knapp werden könnte. Der Schweiß brach mir aus, brannte mir in den Augen. Hastig bohrte ich in Höhe meines Mundes ein kleines Loch, legte meine Lippen darum und sog die kühle Luft ein.
    Mein Bruder hämmerte oben wieder mit beiden Fäusten gegen meine Tür.
    »Gordon macht nicht auf.«, schrie er. Dann humpelte er bis zur Treppe. Ich hörte das Klacken seines Krückstocks auf den Stufen. Er machte es absichtlich laut, denn er war sonst sehr geschickt auf einem Bein, brauchte seinen Stock fast nur auf der Straße. Eine Prothese sollte er erst bekommen, wenn er ausgewachsen war.
    Großvater und Mutter raschelten und flüsterten in der Küche. Martin war unten angelangt und boxte oder schlug gegen den Karton.
    »Wieso kriegt Gordon eine solche Anlage?«, fragte er und zog die Worte lang.
    »Geh wieder hoch«, sagte mein Großvater. »Verschwinde.«
    Martin blieb; er berichtete, ich habe sein Bettgestell an ein Stromkabel angeschlossen. Es stimmte, aber als ich den Strom einschaltete, gab es einen Kurzschluss. Er erzählte weiter, ich sei nachts in sein Zimmer gekommen, habe ihn gefesselt und Zaubersprüche mit dem Kugelschreiber auf seine Brust

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