Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman
gemalt. Zur Bestätigung hob er wahrscheinlich sein Hemd. Großvater lachte. Den Text hatte Martin sich selbst auf die Haut geschrieben. Es war der Vers, durch den man fliegen können sollte. Das Zauberbuch hatte ich ihm vor einigen Tagen geschenkt und gehofft, er würde den Flugzauber ausprobieren.
»Wäre es nicht eine gute Idee, wenn du Gordon wieder mit zu dir nimmst? Er kann auch dort zu Schule gehen«, sagte sie. »Es wäre besser für uns.«
Mein Großvater baute sich gerade ein neues Holzhaus. Es sollte mehr Zimmer haben.
»Ja, das wäre besser für uns«, sagte Martin. Ich glaube, mein Großvater gab ihm eine Ohrfeige. Martin fiel um, heulte und humpelte aus der Küche. Er lief den Flur entlang in den Keller.
»Ich könnte mitkommen«, sagte meine Mutter.
»Du weißt, was ich mit ihm vorhabe.«
Ich zitterte in meinem Karton, wollte nicht an die Zeit denken, als ich bei meinem Großvater leben musste. Ich schaukelte mit dem Kopf so sehr, dass ich rechts und links gegen die Pappe stieß, und summte ein Lied, um sie beide nicht mehr sprechen zu hören. Es war mir egal, ob man mein Versteck entdecken würde. In der Küche wurde es laut. Meine Mutter deckte Geschirr und Besteck ein, und mein Großvater erklärte ihr die Theorie eines Psychologen. Schließlich verlangte er, dass ich geholt würde.
»Er ist nicht da«, sagte meine Mutter. »Er schleicht sich hinaus, schließt sein Zimmer ab und lässt darin ein Tonband mit Geräuschen laufen.« Sie lachte.
»Du lässt das geschehen?«
»Ich weiß, wo er ist. Bei einem Schulfreund.«
»Er hat einen Freund? Das geht nicht.«
»Eher nur ein Schulkamerad.«
»Was macht er dort?«
»Ich tue schon, was du verlangst, aber du solltest ihn mitnehmen, wenn du ihn vollständig unter Kontrolle haben willst.«
Mein Großvater stampfte die Treppe hinauf.
»Ich habe einen Schlüssel für sein Zimmer«, rief meine Mutter ihm nach. Er ließ sich nicht aufhalten, trat oben gegen meine Tür, bis sie splitterte. Mutter folgte ihm.
Ich lauschte und hörte meinen Bruder aus dem Keller zurückkommen. Er ging leise, aber mit einer Krücke gelingt das nicht ganz. Er blieb vor dem Karton stehen, atmete laut. Plötzlich wusste ich, was er vorhatte. Mit aller Kraft stieß ich das Messer in den Spalt des Kartondeckels über mir, durchschnitt das Klebeband. Ich drückte den Deckel auf, kam oben heraus und richtete das Messer auf meinen Bruder. Er schwankte vor Überraschung, hatte den Mund weit geöffnet. Den zum Schlag erhobenen großen Hammer ließ er fallen.
7
Trotz der Hitze trug der Hotelportier eine dicke Uniform und graue Handschuhe. Er legte die Hand an die Stirn. Kein Schweißtropfen war zu sehen. Ich kam mir fast flüssig vor, wie ein Gummimensch ohne Knochen. Dicke rote Teppiche in der Lobby des Hotels. Jeder Schritt wie barfuß auf Moos im Wald. Aus unsichtbaren Lautsprechern kam Vogelgezwitscher. Das Hotel leistete sich mit Wildgerichten und Dekoration die Themenwoche »Deutscher Wald«.
Vorbei an einem ausgestopften Reh und mannshohen Waldfotos. Die Rezeption tarnte sich hinter blühenden Büschen. Hochgezogene Augenbrauen auf dem Anstand. Da ist der Kerl wieder, heute sieht er noch schlechter aus als vor einer Woche, als er mit bekleckerter Hose vorbeiging. Alarmstufe eins im Gesicht des Mädchens mit den toupierten Haaren und dem eingefrorenen Lächeln. Wahrscheinlich hatte sie vorsichtshalber den Finger auf der Klingel für Portier und Management. Gleich würde ich zum Abschuss freigegeben.
Ich verließ die Lichtung.
»Mein Gast«, sagte ich und nannte den Namen. »Ich hatte ihn letzte Woche hier einquartiert, er vermisst seine Lesebrille.«
Sie fand den Namen, dann schaute sie nach hinten zu einem Regal und schüttelte langsam den Kopf. Nein, eine Brille wurde nicht gefunden.
»Und an der Bar?«
»Nein, alles Verlorene wird hier zur Rezeption gebracht.«
»Auch die Herzen?« Ich kam mir vor wie in einem Schwarz-Weiß-Film mit Spencer Tracy und Katharine Hepburn. Damals, als noch nicht die Stunts und Tricks, sondern die Dialoge in den Filmen wichtig waren.
Sie hob die Augen, sah mir ins Gesicht, als wäre das, was ich gesagt hatte, noch nicht in ihrem Gehirn angekommen. Dann kam es an, und sie lächelte müde.
Ohne Tarnung aufrecht weiter durch den Wald. Hinten rechts, zwischen zwei künstlichen Bäumen, der Zugang zur Bar. Zwanzig Schritte und schon betrunken. Erschöpft ließ ich mich auf einem der Barhocker nieder, betrachtete meinen sich
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