Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
Vom Netzwerk:
der Hand zurück zu seinem Wagen. Es rief bei seinen beiden Beobachtern keine Reaktion hervor. Warum sollte sein Pech nicht anhalten und ihm eine Taubstumme mit einem blinden Hund schicken? (Wie ging noch mal die Zeichensprache?)
    »Wo ist das nächste Dorf? Ich brauche Hilfe.«
    Das Mädchen zog die Nase hoch und kaute auf der Unterlippe. Es sah zu dem Hund hinunter, dann wieder mißmutig zu dem Fremden. Der Hund erhob sich und trottete langsam über die Fahrbahn, um ihn zu beschnuppern. Jakob bestand die Prüfung, das Tier setzte sich dicht zu seinen Füßen. Das Mädchen zuckte mit den Achseln und folgte dem Hund, wobei sie den Fremden nicht aus den Augen ließ, als erwarte sie einen Angriff.
    »Gibt es hier ein Dorf?«
    Das Mädchen reagierte nicht.
    Vielleicht konnte sie tatsächlich nicht sprechen. Er wollte sie nicht beleidigen und formulierte in Gedanken eine entsprechende Frage, als sie plötzlich den Mund öffnete und ja sagte. Er begriff, daß dies eine Prüfung war.
    »Und wo?« fragte er.
    Sie blieb stumm, prüfte noch immer.
    Er versuchte seinen Unfall und den Schaden am Wagen zu erklären. Schließlich fiel ihm ein, daß es wohl richtig wäre, sich vorzustellen, und er nannte seinen Namen, seinen Herkunftsort, sein Studienfach, bis er etwas ratlos innehielt und lachen mußte.
    »Entschuldigung, aber ich komme mir so komisch vor.«
    Ihre einzige Reaktion war ein noch finsterer Ausdruck. (Er war also nicht komisch.) Dann zuckte sie mit dem Kopf nach links und sagte knapp: »Da lang.«
    Sie ging voraus. Der Hund schloß sich an, blieb aber im Lauf des Weges immer weiter zurück. Jakob beobachtete die junge Frau von der Seite, schätzte ihr Alter auf etwa zwanzig Jahre und entdeckte unter ihrem finsteren Blick eine hübsche, schmale Nase und einen außergewöhnlichen Mund, dessen Winkel wohl von Natur aus einen leichten Schwung nach oben hatten wie bei einem dünnen Lächeln (hauchdünn). Ein vollkommen düsterer Ausdruck würde ihr deshalb nie gelingen. Sie gefiel ihm.
    »Wie weit ist es?«
    »Nicht weit.«
    »Ist das Ihr Hund?«
    »Nein.«
    »Wie heißt der Ort?«
    »Herzensach.«
    »Wie?«
    »Sie haben es schon richtig verstanden.«
    Dies war die Unterhaltung auf dem ersten Kilometer. Jeder andere hätte aufgegeben, doch Jakob amüsierte sich über ihre Wortkargheit, über ihr abweisendes Verhalten und versuchte sie weiter zu provozieren.
    »Wohnen Sie da?«
    »Möglich.«
    Er ging schneller, um direkt neben sie zu kommen, ihr ins Gesicht zu sehen, doch auch sie beschleunigte den Schritt, so daß es fast zu einem Wettrennen ausartete. Er war sich nicht sicher, ob es ihre abwehrende Haltung war oder die Entdeckung ihrer Schönheit, was in ihm den Wunsch reifen ließ, sie unbedingt für sich einzunehmen.
    »Gibt es da, in diesem ... gibt es da eine Tankstelle?«
    »Nö.«
    »Wie groß ist denn der Ort?«
    »Klein.«
    Die Straße stieg jetzt leicht an, bildete einen Damm, der auf eine Brücke mit steinernem Geländer zuführte.
    »Kommt da ein Fluß?«
    »Blöde Frage.«
    »Wie heißt der?«
    Als Antwort drehte sie ihren Kopf leicht, und er bekam einen genervten Blick.
    »Sie sind nicht sehr gesprächig, was?«
    »Hören Sie zu«, sagte sie scharf und blieb stehen, »wenn Sie mit mir anbändeln wollen: Ich bin nicht die richtige Person dazu.«
    »Ich wollte nur freundlich sein.« Er zog aus Spaß den Kopf etwas ein, als erwarte er einen Schlag, und grinste sie an. »Ich bin Ihnen ziemlich ausgeliefert.«
    Sie schwieg, und er war sich nicht sicher, ob es nicht doch ein Lächeln war, das ihre Mundwinkel willentlich herstellten.
    »Außerdem«, beeilte er sich hinzuzufügen, »habe ich keine andere Absicht, als mich abschleppen zu lassen.«
    »Genau das dachte ich mir.«
    Er wurde sich des Doppelsinns bewußt. »Ich meine das anders.«
    »Umgekehrt?«
    Er lachte. Sie ging schneller.
    »Danach werde ich auf Nimmerwiedersehen aus Ihrem Leben verschwinden.«
    »Sicher.«
    Alles ergab einen anderen Sinn. Sie reizte ihn. Er hatte noch nie ein Mädchen kennengelernt, das so kühl und abwehrend gewesen war. Wieder mußte er sich bemühen, mit ihr Schritt zu halten. Er würde schon herausfinden, wer sie war. »Wenn Sie mir Ihren Namen sagen, schreibe ich Ihnen, wenn alles erledigt ist, eine Postkarte als Dank. Oder meinetwegen auch, damit Sie erkennen können, wie groß die Entfernung zwischen uns ist.«
    »Ha!«
    »Sie haben mich durchschaut.«
    »Männer!«
    Sie hatten die Brücke erreicht. Jakob blieb stehen und

Weitere Kostenlose Bücher